Blick von außen

Wie die Berlin-Blockade zu Stalins Niederlage wurde

Ein Junge verfolgt von einem Baum aus den Landeanflug eines US-amerikanischen Transportflugzeugs auf den Berliner Flughafen Tempelhof. Die Maschine bringt Versorgungsgüter nach West-Berlin.
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Vor 70 Jahren erreichte der Kalte Krieg einen ersten Höhepunkt. Betroffen war davon die Bevölkerung Berlins. Die Luftbrücke oder der Widerstand des Westens.

Von Michael Gehler

Die Anti-Hitler-Koalition beschloss im September 1944 in London die Aufteilung Berlins in vier Sektoren. Eine Regelung des Truppenverkehrs unterblieb jedoch. Für den Luftverkehr vereinbarte man erst im November 1945 drei Korridore von Hamburg, Hannover und Frankfurt am Main nach Berlin.

Ab 1948 nahm der Kalte Krieg zu. Im Februar ergriffen die Kommunisten in Prag die Macht. Die Sowjets verließen den Alliierten Kontrollrat in Berlin. Im April blockierten sie Straßen in ihrem Sektor für Transporte in die Westsektoren.

Amerikaner und Briten errichteten eine „kleine Luftbrücke“ zur Versorgung ihrer Garnisonen – ein Probelauf für den größeren Ernstfall. Aus der alliierten Stadtkommandantur zogen die Sowjets im Juni ab und blockierten zunehmend westalliierte Truppentransporte auf den Zufahrtswegen nach Berlin. Als auf Geheiß der Amerikaner die D-Mark in den deutschen Westzonen und Westsektoren Berlins eingeführt wurde, verhängte Josef Stalin am 24. Juni eine Blockade aller Schienen-, Straßen- und Wasserwege nach West-Berlin.

Die Motive

Moskau deutete die Einführung der Westwährung – für den Osten war bereits ein gleiches Szenario mit der Ost-Mark vorbereitet – als Spaltungsversuch und begründete damit offiziell die Blockade. Wollte Stalin zurück zur Vier-Mächte-Verwaltung und damit den geplanten westdeutschen Staat verhindern und dafür ein neutrales Gesamtdeutschland? Wollte er West-Berlin aushungern, wie es Hitlers Blockade von Leningrad im Krieg mit einer Million Toten getan hatte? Stalin wollte jedenfalls die Westmächte aus Berlin zum Abzug zwingen und sich die gesamte Stadt einverleiben. Akute Notlage.

Die Versorgung der Westsektoren gestaltete sich mit über zwei Millionen Menschen und mehr als 20.000 westalliierten Soldaten höchst prekär: Die Stromlieferung aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) war abgeschnitten. Zu Beginn der Blockade gab es Lebensmittel bei knapp bemessener Tagesration für fünf und Koks für sieben Wochen. Arzneimittel und Heizmaterial waren begrenzt. West-Berliner holzten Bäume in Gärten und an Straßen ab.

US-UK-Konsens

Der Westen war auf die Totalblockade nicht genügend vorbereitet. US-Militärgouverneur Lucius D. Clay wollte zunächst die Autobahnsperren mit Panzern durchbrechen, ließ aber davon ab. Er setzte sich dann für eine große Luftbrücke ein. Sein britischer Kollege Brian Robertson hatte für das sowjetische Zugeständnis freier gesamtdeutscher Wahlen West-Berlin aufzugeben erwogen. Letztlich entschied sein Außenminister Ernest Bevin, dass man bleiben müsse („We must stay“). Die Westmächte antworteten mit einer Gegenblockade, d.h . einem wirkungsarmen Stopp westdeutscher Warenlieferungen in die SBZ.

Teilung der Stadt

Die Blockade leitete die Spaltung Berlins ein: Auf östlichen Druck wurde das Stadtparlament in den Westteil verlegt. Ernst Reuter wurde Regierender Oberbürgermeister und die „Freie Universität“ (FU) wurde gegründet. Im Sowjetsektor amtierte Friedrich Ebert (SED), gleichnamiger Sohn des früheren Reichspräsidenten, als Oberbürgermeister.

Bedenken und Durchhaltewille

Reuter versicherte Clay zwar, dass die West-Berliner die Versorgung aus der Luft ertragen würden, fragte sich aber, ob das überhaupt möglich sei. Die Bevölkerung zweifelte, ob der „airlift“ über den Winter helfen würde, was östliche Medien befeuerten. Der Vorsteher der Stadtverordneten-Versammlung, Otto Suhr, befürchtete den Abzug der Westmächte. Reuters Rede am 9. September 1948 vor der Ruine des Reichstagsgebäudes wurde jedoch zum Fanal des Widerstands, als er ausrief: „Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt!“

Das Krisenmanagement

Am 26. Juni flogen die ersten US-Maschinen von der Rhein-Main Airbase in Frankfurt am Main los. Ab 8. Juli setzten koordinierte Maßnahmen der Combined Airlift Task Force in Wiesbaden ein: Die personelle und materielle Ausstattung war zu erhöhen, die Aktionen zu verbessern und gesteigerte Transportmengen zu stemmen. Für den Winter bestanden zwei Drittel davon aus Steinkohle, um den Bedarf für Heizungen und Kraftwerke zu sichern. Das war nur mit geeigneten Flugzeugen, ausgebauten Landebahnen, verbesserter Flugzeugwartung, beschleunigter Entladung und optimaler Verwendung der Flugrouten möglich.

Meisterleistung der Flugtechnik

Die drei erwähnten Luftkorridore dienten als Einbahnstraßen, wobei von Hamburg und Frankfurt am Main die Hinflüge und im mittleren Korridor von Berlin nach Hannover die Retourflüge erfolgten. In den Korridoren wurde auf fünf Ebenen mit einem Abstand von 500 Fuß geflogen. Nachkommende Flieger parkten über Berlin in Höhen von 3000 bis 11.000 Fuß. So konnte alle drei Minuten ein Flieger landen. Neben Amerikanern und Briten waren Piloten aus Australien, Kanada, Neuseeland und Südafrika im Einsatz. Frankreich beteiligte sich nur geringfügig. Es war mit seiner Luftstreitkraft im Indochinakrieg gebunden. In Berlin wurden die Flughäfen Gatow im britischen, Tempelhof im US- und Tegel im französischen Sektor angeflogen.

Gigantisches Ausmaß

In Berlin-Tegel wurde mit Tausenden deutschen Arbeitern in weniger als drei Monaten eine über zwei Kilometer lange Startbahn gebaut – die längste Europas. In elf Monaten gab es über 550.000 Hin- und Rückflüge. Über 2,3 Millionen Tonnen Fracht wurden mit 277.728 registrierten Flügen nach Berlin gebracht. Zu Spitzenzeiten waren es knapp 13.000 Tonnen bei zirka 1400 Flügen in 24 Stunden. Den Löwenanteil transportierten US-Flugzeuge, davon in Tonnen knapp 1,5 Mio. Kohle, etwa 485.000 Nahrungsmittel und 160.000 Baustoffe zum Ausbau der Flughäfen und eines Kraftwerks sowie 200.000 CARE-Pakete. Dehydrierte Lebensmittel wie Mehl, Milchpulver, Trockengemüse und -kartoffeln wurden eingeflogen, um Gewicht zu sparen.

Gegenmaßnahmen und Opfer

Die Sowjets reagierten mit gezielten Behinderungen über der SBZ, Blendung durch Scheinwerfer, Flak-Beschuss an den Korridorgrenzen und Störungen durch Flugmanöver mit Jagdflugzeugen (MiG-15). Die Luftbrücke forderte über hundert Unfälle und zahlreiche Tote: 39 auf britischer, 31 auf amerikanischer und mindestens 8 auf deutscher Seite.

Propaganda

Cover-Girls, Entertainer und Tänzerinnen sorgten mit öffentlichen Auftritten und über das Radio für die Propagierung des „American Way of Life“. Die Bezeichnung „Rosinenbomber“ tat ein Übriges. Sie soll auf einen britischen Piloten zurückgehen, der zur Vorweihnachtszeit 1948 Süßwaren für Weihnachtsgebäck nach Berlin geflogen hatte. Güter mit dem Etikett „Hergestellt im blockierten Berlin“ wurden zudem ausgeflogen, um Propaganda für die Luftbrücke zu machen.

Einlenken Moskaus

Nachdem Stalin die Wirkungslosigkeit seiner Erpressung erkannte, wies er seinen Bevollmächtigen Jakob A. Malik zu Geheimverhandlungen mit dem US-Vertreter Philip Jessup an, die mit einem Vier-Mächte-Abkommen am 12. Mai 1949 das Ende der Blockade vereinbarten. Am gleichen Tag genehmigten die westalliierten Militärgouverneure das Grundgesetz. Die westlichen Flüge wurden sukzessiv reduziert, bis die Lagerbestände für rund zwei Monate gesichert waren. Am 30. September landete in Tempelhof der letzte US-Flieger mit zehn Tonnen Kohle.

Ein Fazit

Stalin hatte die Stadt in Geiselhaft genommen. Die Blockade scheiterte am westlichen Widerstand. Ohne diesen wäre ganz Berlin Teil der zukünftigen DDR geworden. Es war die erste verlorene Schlacht der Sowjets im Kalten Krieg. Die Luftbrücke war die größte Versorgungsaktion der Geschichte. Sie beschleunigte die Gründung der NATO am 4. April und der BRD am 23. Mai 1949. Besatzer wurden zu Beschützern. Erstmals kam bei Westdeutschen das Gefühl auf, gegen die Sowjets mit den Westmächten verbündet zu sein. Berlin blieb jedoch gespalten und im Westen fand man sich allmählich mit der deutschen Teilung ab. Sie bedeutete auch die Spaltung der Welt.

Zur Person

Michael Gehler (Österreichische Akademie der Wissenschaften) ist seit 2006 Jean-Monnet-Professor für vergleichende europäische Zeitgeschichte an der Universität Hildesheim.

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