Genuss

“Ice Aged“: Das Fleisch aus dem ewigen Eis

Erster Gang: ein Rindstartare.
© Siller

Am Pitztaler Gletscher ließ man 25 Kilogramm Rindfleisch wochenlang in Gletschereis reifen. Was das ganze Brimborium soll? Wir haben gekostet und nachgefragt.

Von Kathrin Siller

St. Leonhard i. Pitztal –Die paar Stufen auf die Aussichtsplattform haben’s in sich: Die Knie zittern, der Kopf fühlt sich an, als hätte sein Besitzer ein Gläschen zu viel getrunken, man schnauft wie ein verschnupfter Hund. Der Blick auf die Wildspitze: wortwörtlich atemberaubend. Spürbar dünner ist die Luft hier oben am Pitztaler Gletscher in 3440 Metern Höhe.

Dem Fleisch, das ein paar Meter weiter zum Reifen im Gletschereis versenkt wurde und heute vor Ort im höchsten Café Österreichs serviert wird, soll gerade dieser Mangel an Sauerstoff zur ultimativen Klasse verholfen haben. Vor einigen Wochen vergruben Gastronomen 25 Kilogramm Rindfleisch in einer zirbenspänegefüllten Zirbenkiste in vier Metern Tiefe. 30 Tage lang reifte es unter besten Bedingungen: konstant tiefe Temperaturen, sauerstoffarm, feucht, umgeben von ätherischen Ölen der Zirbe, deren Holz auch das Bakterienwachstum verhindert.

In einer Zirbenkiste auf 3440 Metern reifte das Fleisch, kontrolliert u.a. vom Pitztaler Gletschergastronom Bernd Matschnig.
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„Mittlerweile ist die Kiste ausgeapert“, zeigt uns Bernd Matschnig, Leiter der Pitztaler Gletschergastronomie. Wie ein Sarg liegt der hölzerne Eisschrank unweit der Bergstation im Hang. Beim Versuch, die Kiste aufzumachen, ist ihr Deckel zerbrochen. Pausenlos fließt das Gletschereis unter der Mittagssonne rund um die Box davon.

Michael Ploner ist von dem „Ice aged“-Rindfleisch jedenfalls begeistert und hat alles aus ihm herausgeholt. Der 24-jährige Koch aus Nauders serviert eingangs ein Tartar mit Zirbenemulsion und als zweiten Gang ein Roastbeef mit eingelegten Lärchen.

„In der Gastronomie wird die Hälfte der Wertschöpfung mit Rindfleisch erzielt“, erklärt Peter Krug, Geschäftsführer des Gastronomie­großhändlers Eurogast, der zu dem Event geladen hat. Und das, obwohl der Durchschnittsösterreicher privat 38 Kilo Schwein, aber „nur“ zwölf Kilo Rindfleisch pro Jahr isst.

Im Restaurant trauen die Gäste einem Rindersteak offensichtlich mehr Qualität zu. Wenn sie dazu noch etwas zu dessen Herkunft erfahren würden, wie wir es heute tun, könnten sie vielleicht mit besserem Gewissen genießen. Das Gletscher-Fleisch stammt von einer 24 Monate alten Pitztaler Kalbin, Rasse Simmenthal, aufgewachsen auf einem kleinen Hof, geschlachtet von Reini Amon, der heute ebenfalls zum Verkosten gekommen ist.

Koch Michael Ploner verarbeitete das Fleisch.
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Das Steak mit Zirbenjus, das Ploner als Hauptgang auftischt, ist tatsächlich ein Gedicht. Ob es an dem „Ice aging“ liegt? Markus Mair zuckt mit den Schultern. Der Haiminger Fleischsommelier ist grundsätzlich kritisch, wenn es um exotische Reife-Methoden geht, aber heute muss er zugeben: „Eines der drei besten Steaks, die ich jemals gegessen habe.“

Dass Rindfleisch reifen muss, ist freilich nichts Neues. „An einem Beiried zum Beispiel, das frisch vom Metzger kommt, beißt du dir nämlich alle Zähne aus“, grinst Ploner. Stichwort: Schuhsohle. Beim Reifen entwickeln sich Milchsäurebakterien, die das totenstarre Fleisch zersetzen. Es wird butterweich.

Keine Raketenwissenschaft. Und trotzdem: „Es gibt 15 Reifemethoden. Rind braucht am längsten, Lamm und Wild etwas weniger, Huhn isst man frisch“, erklärt Mair. „Dry aging“ bedeutet, das Fleisch mindestens vier Wochen am Knochen reifen zu lassen. Nachteil: 25 bis 30 Prozent vertrocknen und müssen weggeworfen werden. Beim Reifen in Rindertalg wird das Fleisch von warmem Fett umhüllt und erhält damit einen nussigen, intensiven Geschmack. Auch die Bafry-Box kommt gerne zum Einsatz: Das Fleisch bleibt einige Wochen in dieser Plastikkiste, aus der die Luft gedrückt wird und deren Deckel dann beschwert wird. Am gängigsten ist das „Wet aging“: In Vakuumbeuteln reift das Fleisch in seiner eigenen Flüssigkeit.

Ob „Aqua aging“ (in Mineralwasser), das Reifen in Asche oder mithilfe von Druckwellen – vieles ist vielleicht bloßer Werbe-Hokuspokus. Auch das „Ice aging“ taugt wohl kaum als Methode für die Massenproduktion. Die Testesser allerdings waren hin und weg – fast so wie das Gletschereis um die Zirbenkiste.