Salzburger Festspiele

Morettis Maßanzug: Der „Jedermann“ in Salzburg

Tobias Moretti als "Jedermann" und Peter Lohmeyer als "Tod" .
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Die Wiederaufnahme des leicht überarbeiteten „Jedermanns“ bei den Salzburger Festspielen wurde am Sonntagabend mit stehenden Ovationen belohnt.

Von Joachim Leitner

Salzburg – Ob dieser Teufel (Hanno Koffler) Prada trägt, bleibt fraglich. Dafür leuchtet ihm der Schweif. Und sein Brustteil flackert. Der Tod (Peter Lohmeyer) indessen, der stöckelt fraglos in elegantem Edelfummel übers Parkett. Damit macht er selbst beeindruckend bedrohlich gute Figur, wenn’s abwärts geht. Und wie es abwärts geht. In einer Schlüsselszene seines „Jedermanns“ – der Tod stellt der Titelfigur (Tobias Moretti) nach – lässt Regisseur Michael Sturminger die Bühne einfach wegkippen. Der letzte Rest der Tischgesellschaft wird entsorgt: Glas und Porzellan zerlegt’s, die Stühle purzeln. Und jene, die der Schwerkraft trotzen, funktioniert Peter Lohmeyer zum Wurfgeschoss um. Bei der Premiere am Sonntagabend landete einer gar im Publikum. Eines also ist klar: Mit diesem moribunden Gevatter ist nicht zu spaßen. Und aufs Verhandeln lässt er sich auch nicht ein. Mit Jedermann schon gar nicht. Obwohl der sich – ein Jongleur der Worte durch und durch – wie kaum ein anderer aufs Verhandeln versteht. Noch vor seiner ersten Todesahnung trieb er einem abgehalfterten Bittsteller das Betteln aus. Jetzt aber ist er mit seinem Latein am Ende und das Ende selbst ist nah: Es wird gestorben, komme, was wolle. So weit, so bekannt.

Am Sonntag ging der Salzburger „Jedermann“ in seine nächste Spielzeit. An Sturmingers im Vorjahr in knappster Zeit entworfener und daher etwas grob geschnitzter Inszenierung wurde für die heurige Wiederaufnahme etwas gefeilt. Manches wurde gestrafft, einiges nach-, anderes ausformuliert. Dem traditionsreichen Spiel vom Sterben des reichen Mannes hat das ziemlich gutgetan. Genauso, wie die neue Bühnenmusik von Wolfgang Mitterer – vom „Jedermann“-erfahrenen Ensemble 013 kongenial umgesetzt – die innere Dramatik des Dauerbrenners akzentuiert. Auch dadurch ist dieser neue alte „Jedermann“ ein Stück weit dichter geworden. Jetzt funktioniert er richtig. Selbst dann, wenn – wie zur Premiere – die eigentliche Attraktion, der Salzburger Domplatz samt Glockengeläut, ins Wasser fällt. Das Wetter zwang Tobias Moretti auch bei seiner zweiten Premiere als Jedermann ins Festspielhaus. Dort freilich werden Schwächen sichtbarer: Die um Ausdruck bemühte Lichtregie zum Beispiel (Teufel: rot; Mammon: gelb, etc.) unterstreicht, was keiner Hervorhebung bedarf. Am Platz mag das für Atmos­phäre sorgen, im Haus hätte weniger gereicht.

Sturmingers Zugriff auf den Stoff, den Hugo von Hoffmannsthal um 1911 nach mittelalterlichen Mysterienspielen gestaltete, bleibt vergleichsweise abstrakt: Er treibt dem Stück zwar weder Tod noch Teufel aus, bettet es aber in ein nicht näher definiertes, aber zweifelsfrei erkennbares Heute. Seine Inszenierung ist ganz auf Moretti zugeschnitten – und dem passt sie wie ein Maßanzug. Sein Jedermann ist weniger Lebe- denn um Rationalität bemühter Geschäftsmann. Selbst in Liebessachen ist er um Distanz bemüht. Dieser Ansatz geht bisweilen auf Kosten des Knisterns: Seine Beziehung mit der Buhlschaft (Stefanie Reinsperger) etwa gemahnt eher an ein Arrangement, ein Agreement, an einen Deal; die zu seiner Mutter (erhaben: Edith Clever) hingegen bleibt ein unnotwendig Übel. Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Umso effektiver geraten dadurch die Momente, wenn die so klar getaktete Welt ins Wanken gerät, wenn sich das Unkalkulierbare, das Unausweichliche, das Über- und das Unterirdische seine Bahn bricht. Wenn etwa der Tod dem Jedermann auf den Leib rückt, wenn er seine Guten Werke (Mavie Hörbiger) triezt – oder vom Besitzer zum Spielball des Mammons wird, wird dieser „Jedermann“ zur intensiven und erschreckend körperlichen Kontrollverlust-Studie, die das Premierenpublikum mit stehenden Ovationen belohnte.

Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal

Regie: Michael Sturminger

Bühne und Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser

Komposition und Musikalische Leitung: Wolfgang Mitterer

Choreografie: Andreas Heise

Mit: Tobias Moretti - Jedermann, Stefanie Reinsperger - Buhlschaft, Peter Lohmeyer - Tod/Spielansager, Hanno Koffler - Teufel/Jedermanns guter Gesell, Christoph Franken - Mammon, Mavie Hörbiger - Werke, Johannes Silberschneider - Glaube, Edith Clever - Jedermanns Mutter, Hannes Flaschberger - Dicker Vetter, Stephan Kreiss - Dünner Vetter, Fritz Egger - Ein Schuldknecht, Martina Stilp - Des Schuldknechts Weib, Roland Renner - Ein armer Nachbar, Sigrid Maria Schnückel - Der Koch

Am Domplatz bzw. bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus. Vorstellungen bis 27. August. Karten: 0662/8045-500.

Stefanie Reinsperger in der Rolle der "Buhlschaft".
© APA/Gindl
Tobias Moretti beim nicht ganz geglückten Bieranstich mit Buhlschaft Stefanie Reinsperger während der Premierenfeier am Sonntag.
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