Internationale Pressestimmen zum Rücktritt von Özil
Die FAZ spricht von “Verfolgungswahn“, der Guardian schreibt über Özil als “Inbegriff des Migranten, der nicht reinpasst“.
Berlin/London — Reaktionen der internationalen Presse zum Fall des aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zurückgetretenen Mesut Özil vom Dienstag:
Deutschland
Bild: „Verlogener geht es kaum. Beim unsäglichen Abgang von Mesut Özil geht es um eine Person und deren Fehler kaum noch: Mesut Özil. Der Skandal, um den es eigentlich geht, ist schon fast in Vergessenheit geraten: Ein Deutscher macht Wahlkampfwerbung für einen türkischen Alleinherrscher und sorgt mit dafür, dass Türken, die in Deutschland in Freiheit leben, für ihre türkischen Mitbürger in der Türkei ein Leben in Unfreiheit wählen. Ein deutscher Millionär, der sich politisch für einen Mann engagiert, der gerade dabei ist, die wirtschaftliche Zukunft der türkischen Jugend zu ruinieren. Verlogener geht es kaum. Was aber noch erbärmlicher ist: Weite Teile der deutschen Politik fallen auf Özil und seine absurd pauschalen Rassismus-Vorwürfe rein, stimmen sein Lied an, statt deutlich zu machen, wie ungleich freier Türken in Deutschland leben als bei dem Despoten, für den Özil Werbung macht."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Verfolgungswahn. Der Deutsche Fußball-Bund hat im Fall Özil wahrlich kein gutes Bild abgegeben. Der Spieler darf nicht zum Sündenbock für eine verkorkste WM gemacht werden, er hat auch rassistische Schmähungen erfahren; der einzige deutsche Satz in seiner englischsprachigen Botschaft gibt eine solche Beleidigung wieder. Doch der Rassismus-Vorwurf ist absurd. Özil ist nicht für seine Herkunft, sondern für sein Verhalten kritisiert worden. Dass er in seinem öffentlichen Umgang mit Erdogan weiterhin keinen Fehler sehen will, zeigt: Özil gehört nicht in die deutsche Nationalmannschaft."
Handelsblatt: „Ein deutsches Eigentor. Nur wenn wir Integration wirklich leben, behalten wir weltweit den Anschluss, warnt Ozan Demircan. Mit dem Rücktritt Mesut Özils ist 'Die Mannschaft' wieder ein Stück zur 'Nationalmannschaft' geworden. Genau so, wie es sich Politiker der AfD vor einigen Monaten gewünscht hatten. Sie haben nun bekommen, was sie wollten, ohne dafür weiter poltern zu müssen. Nur zu leicht wäre es, einzig Özil seine mangelnde Fähigkeit zur Selbstreflexion anzulasten, seine Weigerung, ein dämliches und dämlich aufgebauschtes Foto als politisch zu betrachten, oder den fast schon kindlichen Trotz eines 29-jährigen Weltfußballers. Es geht um viel mehr: darum nämlich, wie wir den schwierigen Begriff der Integration eigentlich mit Leben füllen wollen. In Deutschland, wo jeder Dritte unter 20 Jahren einen Migrationshintergrund hat, wo nicht mehr nur in den Teppichetagen vieler Dax-Konzerne längst Englisch, Chinesisch oder Arabisch gesprochen wird und mehr als eine Million Flüchtlinge Schutz sucht, muss die Frage erlaubt sein: Können wir Integration? Und: Was entgeht uns, wenn wir daran scheitern?"
Süddeutsche Zeitung: „Der DFB hat in seinem Krisenmanagement stellvertretend für all seine Mitglieder fahrlässig gehandelt, indem er ihre Symbolfigur für Integration bereitwillig zur Symbolfigur des Scheiterns werden ließ. Und Özil (gelenkt von seinen Beratern) hat mit seiner verspäteten und naiven Erklärung der Erdogan-Fotos seine Rolle als Integrationsbotschafter, die er freilich nie einforderte, kaum erfüllt. Die Arbeit an der Basis ist nun schwieriger geworden, der Fall Özil ist eine Hypothek. Differenzierung ist nicht die Stärke des Stammtischs, auch nicht im Vereinsheim."
Großbritannien
Guardian: „Özil ist der Inbegriff des Migranten, der nicht reinpasst. Seine Eltern kommen aus der Schwarzmeerstadt Zonguldak, wuchsen aber im westdeutschen Gelsenkirchen auf. Er ist ein Superstar bei Arsenal, der seine Antwort auf einen deutsch-türkischen Streit auf Englisch twittert. Indem sie von ihrer gegenseitigen Kritik zehren, um die in der Mitte zu isolieren, zeigen die Reaktionen der Hardliner auf beiden Seiten eine Symbiose. Deutschland und die Türkei ähneln sich darin, dass in beiden Ländern Ideen von 'Rasse' und 'Blut' weiterhin die Nation definieren."
Telegraph: „Mit der extremen Rechten in Frankreich, die sich beschwert, dass 15 Spieler der 23-köpfigen Mannschaft des Landes afrikanische Wurzeln (meist in den ehemaligen französischen Kolonien) haben, sowie Lukaku, der auf die Vorurteile hinweist, mit denen er in Belgien zu kämpfen hatte (auch Großbritannien hat bedeutende Probleme mit einem abwegigen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit), zeigt der Fußball nicht den Weg für die Politik, sondern geht in ihren Flammen auf."
Daily Mail: „Mesut Özils Rückzug aus dem internationalen Fußball ist das tragische Ende einer glorreichen Karriere. (...) Einer der besten Mittelfeldspieler Deutschlands wurde von einem Symbol der Integration zu einer Gestalt der toxischen öffentlichen Debatte."
Türkei
Sabah: "Mesut Özil hat das schönste Tor gegen den Rassismus geschossen. Er hat 'Stopp' gesagt gegen die zunehmende Migranten-Feindlichkeit und den Rassismus in Europa und dem 'rassistischen Gesicht' des Westens den Spiegel vorgehalten."
Takvim: "Wir sind an Deiner Seite mein Bruder!"
Fanatik: "Du bist nicht alleine."
Schweiz
Neue Zürcher Zeitung: "Sportler in anderen Ländern mögen hin und wieder ähnliche Erfahrungen machen. Aber die Art und Weise, wie die deutsche Öffentlichkeit ihre Athleten vereinnahmt und verurteilt, ist eine besondere. Als drei Schweizer Nationalspieler bei der WM die Doppeladler-Geste machten, ein bekanntes Zeichen albanischer Nationalisten, gab es im Land zwar eine hitzige Diskussion. Die hat sich aber vergleichsweise schnell beruhigt, und alle Beteiligten spielen nach wie vor für die Schweiz."
Tagesanzeiger: "Jetzt steht dieser Spieler für die bange Frage von Grünen-Politiker Özdemir, ob Deutschtürken künftig noch einen Platz im deutschen National-Team finden würden. Und er steht für sein dumpfes Gefühl, trotz aller sozialen Dienste, die er für das Land erbrachte, auf Ablehnung zu stoßen. Und auf Rassismus."
Spanien
El Pais: "Die Vorwürfe des Fußballers zeigen, dass die Grundlage der ethnischen und kulturellen Integration, die das Bild des Siegers von 2014 zeigen sollte, nicht wirklich solide ist. Der Aufstieg der extremen Rechten, die sich in den 90 Sitzen zeigt, die die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 gewann, scheinen die bittere Sicht des Fußballers zu stützen."
Slowakei
Dennik N: "Ein in westlichen Werten erzogener Demokrat muss wissen, dass die Kritik an einem Diktator und seinen Methoden keine Kritik an einer Nation ist und dass das Ablehnen eines Diktators nichts damit zu tun hat, ob man sich zu seinen Wurzeln bekennt. Er muss auch wissen, dass die Kritik an der Unterstützung für so einen Diktator berechtigt ist, auch wenn diese Unterstützung aus Naivität geschehen sein mag." (APA/dpa)