,,Fire“-Bewegung:

Freiheit wichtiger als dickes Konto: Mit 40 in Pension

© Oliver Noelting

Für Anhänger der „Fire“-Bewegung ist der frühzeitige Ruhestand das Ziel. Auch für den Deutschen Oliver Noelting kommt Lebensqualität vor Haus und Rolex.

Von Evelin Stark

Innsbruck –Wenn Oliver Noelting aus Hannover in Pension geht, ist er 40 Jahre alt. Er kommt aber weder aus reichem Hause, noch hat er geerbt. Der 29-jährige Medieninformatiker ist selbsterklärter Frugalist (frugal = englisch für bescheiden): Leute mit diesem Lebensstil leben einfach und mäßig. Sie sind mit wenig Geld glücklich.

Noelting verzichtet auf teure Kleider, eine große Wohnung und ein Auto. So hat er allein im letzten Jahr 70 Prozent seines Einkommens gespart. „Mir hat die Idee, bis 67 zu arbeiten, nie gefallen“, sagt der Programmierer. Vor fünf Jahren sei er durch Zufall auf die Webseite von „Mr Money Mustache“ in den USA gestoßen – er gilt als eines der Idole der „Fire“-Bewegung. „Fire“ steht für „Financial Independence, Retire Early“, zu Deutsch: finanzielle Unabhängigkeit, vorzeitig in den Ruhestand gehen. „Mr Money Mustache ist bekannt geworden, weil er mit 30 Jahren bereits in Pension gegangen ist“, sagt Noelting.

Das hat ihn begeistert. Er selbst habe nämlich immer schon sparsam gelebt und sich gefragt, wie andere Leute es schaffen, das ganze Geld auszugeben, das sie verdienen. „In mir ging ein Licht auf und ich entschied mich, das auch zu machen.“ Also rechnete er sich aus, wie lange er noch arbeiten müsse, um genügend Geld am Sparkonto zu sammeln, mit dem er den Rest seines Lebens auskommen würde. Mit 40 Jahren sei es so weit: „Mein Ziel ist es nicht, gar nicht mehr zu arbeiten. Aber ich will mir aussuchen können, was und wie viel ich mache. Acht bis zehn Stunden pro Woche kann ich mir schon vorstellen“, so Noelting. Ob er damit Geld verdiene oder es für einen guten Zweck mache, spiele dann ja keine Rolle mehr. Auf seinem Blog frugalisten.de gibt Noelting genaue Auskunft über seinen finanziellen Masterplan.

Arbeit und Geld stehen für den bescheidenen Deutschen also nicht im Mittelpunkt seines Lebens. „Reich sein heißt für Frugalisten zwar finanziell ausgesorgt zu haben. Es heißt aber auch Lebensqualität, und das nicht gemessen an materiellen Werten“, sagt Anna Schneider. Die Betriebswirtin forscht im Bereich Personalmanagement und Beschäftigungsbeziehungen an der Universität Innsbruck.

Oliver Noelting ist für Schneider ein „bildhaftes Extrembeispiel“ dafür, dass seit einiger Zeit eine Veränderung des Stellenwerts von Arbeit stattfindet: „Dinge, die für Geld nicht zu haben sind, wie Lebenserfahrung, Urlaub oder die Kennerschaft über guten Wein zum Beispiel, spielen eine viel größere Rolle als ein hohes Einkommen“, erklärt die Wissenschafterin.

Den jungen Menschen – hier gehe es hauptsächlich um die gebildete Mittelschicht der so genannten „Generation Y“ – gehe es vielmehr darum, nicht von Konsum und materiellen Statussymbolen abhängig zu sein, sondern mehr von ihrer Zeit zu haben.

„Das ist konträr zum klassischen Verständnis von Status“, so Schneider. Auch bei ihren Studenten stelle sie immer wieder fest, dass die Motivation bei der Jobsuche nicht die sei, möglichst viel Geld zu verdienen. Es gehe vielmehr darum, einen Arbeitgeber zu finden, „wo sie das eigene Lebensprojekt verwirklichen können“.

Der Wiener Jugendforscher Philipp Ikrath bezeichnet die „Fire“-Bewegung als Phänomen der Privilegierten: „Für die Oberschicht ist das neue Statussymbol nicht mehr Geld, sondern Zeit“, sagt er. „Die klassischen Statussymbole haben sich in einer kleinen Gruppe der Bevölkerung verschoben.“ In Folge dieser Entwicklung würden diejenigen, die ihr Leben lang arbeiten, zu „Losern, die es nicht geschafft haben“.

Im Gegensatz zu diesen „Losern“ erhält die Generation Y oftmals den Stempel des Nicht-arbeiten-Wollens. Tatsächlich sei es aber so, so Schneider, dass sich inzwischen in vielen Gesellschaftsschichten die Ansprüche an Arbeit vervielfachen: „Laut einer Studie wollen viele Menschen durch ihre Arbeit sorgenfrei leben, gleichzeitig sich selbst verwirklichen und eine Balance zwischen Arbeit und Leben erreichen“, erklärt sie. Deshalb würde es heute unterschiedlichste Modelle geben, wie Menschen arbeiten. Sei es im 30-Stunden-Verhältnis, auf Honorarbasis oder eben gar nicht.