1952 - 2018

Marchionne verstorben: Fiat trauert um Chef im Wollpullover

Sergio Marchionne machte Fiat wieder zu einer Weltmarke.
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Er war einer der bekanntesten Spitzenmanager Italiens: Sergio Marchionne brachte Fiat wieder auf Vordermann. Und auch bei Ferrari war er eine Legende.

Rom — Als Marchionne im Juni 2004 sein Büro in Turin bezog, kannte ihn kaum jemand. Bevor er zu Fiat gerufen wurde, war er Chef des Zertifizierung-Weltmarktführers SGS. In Turin fand der Sohn eines Carabiniere aus der bergigen Abruzzen-Region, der mit 14 Jahren nach Kanada ausgewandert war, eine katastrophale Lage vor: Der Verwaltungsratschef und letzte Patriarch der Dynastie der Fiat-Eigentümerfamilie Agnelli, Umberto Agnelli, war erst vor wenigen Tagen gestorben. CEO Giuseppe Morchio, der anstelle des Verstorbenen zum neuen Fiat-Verwaltungsratschef aufrücken wollte, war aus Protest zurückgetreten, weil ihm die Agnelli-Erben den Karrieresprung verweigert hatten. Der Konzern, der an den Rand des Abgrunds geraten war, verlor täglich zwei Millionen Euro. Marchionne stand vor einem Scherbenhaufen.

Mit einem hartem Sparkurs und neuen Automodellen gab Marchionne dem Bankrott-Kandidaten den Stolz einer italienischen Traditionsfirma wieder zurück. Für den Mann mit dem runden Gesicht und der Brille, der gerne unkonventionell auftrat, aber intern mit harter Hand und kompromisslosem Verhalten regierte, war dies nur der erste Schritt. Nach einem Streit mit dem Wiener Manager Herbert Demel übernahm Marchionne 2005 persönlich die Führung der Fiat-Autosparte.

Chrysler als erfolgreicher Drahtseil-Akt

Schon wenige Monate nach seiner Ankunft in Turin verkündete Marchionne seine Visionen: Künftig werde es nur noch fünf oder sechs große Autobauer auf der Welt geben. Seine Überlebensstrategie für den kriselnden Autobauer hat der selbstbewusste Manager, der auch vor hochkarätigem Publikum im schlichten Wollpullover auftrat, in diesen Jahren knallhart umgesetzt. Dabei scheute er auch nicht vor unpopulären Beschlüssen, wie die interne Bürokratie abzubauen und die Entwicklungszeiten für neue Modelle drastisch zu reduzieren. Die Kooperation mit dem US-Konzern Chrysler, den Fiat 2014 komplett übernommen hat, erwies sich als der erfolgreichste Drahtseilakt in Marchionnes spektakulärer Karriere.

Der zweifache Vater hat viel Lob geerntet, zugleich auch viele Feinde gehabt. Sein überdurchschnittlicher Ehrgeiz, der zwar anregend, aber zuweilen auch fordernd und aggressiv wirkte, brachte ihm vor allem Probleme mit dem linken Gewerkschaftsverband FIOM ein, der in den italienischen Fiat-Produktionswerken das Sagen hat. Auch bei den Arbeitnehmern war Marchionne wegen seines Kurses, der die Rolle der Gewerkschaften wenig berücksichtigte, nicht besonders populär.

2014 übernahm Marchionne bei Ferrari das Kommando.
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Die italienische Belegschaft befürchtete vor allem, dass nach der Chrysler-Übernahme fünf italienische Standorte schrittweise abgebaut und ins Ausland verlegt werden könnten. Scharfe Kritik zog sich Marchionne auch mit der Entscheidung zu, den Firmensitz von Turin nach London zu verlegen. 2014 entthronte er den langjährigen Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo, der in der Formel 1 keine Erfolge mehr einfuhr, und übernahm selbst das Ruder beim Luxusauto-Konzern. Ferrari wurde 2015 von FCA ausgliedert und 2016 mit Erfolg an die Mailänder Börse gebracht.

Von der Rettung zum Weltkonzern

Sergio Chiamparino, Präsident der Region Piemont und ehemaliger Turiner Bürgermeister, lobte Marchionne wegen seines Sanierungstalents. "Marchionne hat nicht nur den Weg gefunden, Fiat zu retten, sondern auch, daraus einen Weltkonzern zu machen. Er hat gleichzeitig eine Strategie entwickelt, um die Arbeitskräfte flexibler einzusetzen und dem globalen Wettbewerb effizienter standzuhalten", so Chiamparino.

Marchionne hinterlässt seinem Nachfolger ein solides Unternehmen: Der Konzern ist seit Ende Juni schuldenfrei. Die Halbjahresergebnisse werden am Mittwochnachmittag vorgestellt. Italiens bestbezahlter Manager Marchionne hatte erst im Juni den Entwicklungsplan von FCA bis 2022 präsentiert, der Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro vorsieht. Gerechnet wird mit einem jährlichen Umsatzwachstum von durchschnittlich 7 Prozent. Die Umsätze der Marken Jeep, Alfa Romeo, Maserati und Fiat Professional sollen zwischen 65 und 80 Prozent zulegen.

FCA will zudem 9 Milliarden Euro investieren, um seine Modelle auch in der elektrischen Version anzubieten. Bis Ende 2021 will FCA keine Dieselautos mehr herstellen.

Der Automobilkonzern startet demnächst mit der Umsetzung des Plans für die Abspaltung des Zuliefergeschäfts Magneti Marelli. Vorgesehen ist die Ausgliederung der Gesellschaft und deren Börsengang. Die Auslagerung der Tochter, die bis Anfang 2019 abgeschlossen werden soll, soll Magneti weiteres Wachstum bescheren.

Manley übernimmt das Kommando

Marchionne plante eigentlich, erst im kommenden Frühjahr - nach der Vorstellung der Ergebnisse für 2018 - das Zepter bei Fiat abzugeben. Bei der Tochter Ferrari wollte er weiterhin Präsident bleiben.

Der Italo-Kanadier hatte aber schon länger mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Anfang Juli wurde Marchionne einem chirurgischen Eingriff unterzogen, Gerüchten zufolge litt er an Lungenkrebs. Nach Komplikationen infolge der Operation wurde der komatöse Marchionne nach Zürich geflogen. Er starb auf der Intensivstation des Zürcher Universitätskrankenhauses, wie heute bekannt wurde. Bereits am Samstag ernannte der Aufsichtsrat von Fiat und Ferrari bei einer Sondersitzung den 54-jährigen Topmanager Mike Manley zum Nachfolger Marchionnes. Damit ist bei dem siebentgrößten Autokonzern der Welt eine Ära zu Ende gegangen. (APA,dpa)