Bayreuther Festspiele

“Lohengrin“: Geflügelte Krieger und Kraftströme

Rätselhaft: Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy schuf für Yuval Sharons Neuinterpretation von Richard Wagners „Lohengrin“ seltsam nebulöse Räume und unspezifische Kostüme.
© Enrico Nawrath

Die Bayreuther „Lohengrin“-Neuinszenierung als verrätselte Künstlerveranstaltung in verschiedensten Varianten von Blau.

Von Jörn Florian Fuchs

Bayreuth –Beim Vorspiel ist die Sache noch in Ordnung. Atemberaubend inszeniert Christian Thielemann am Pult des Bayreuther Festspielorchesters Wagners duftende Introduktion zum später arg blechbelasteten Ritterdrama. Was sich innerhalb weniger Augenblicke – in ein paar Takten – abspielt, gehört zum Spannungsreichsten dieser Premiere. Auch die weiteren Vor- und Zwischenspiele klingen exzeptionell. Von den filigransten Orchesterfiguren bis zum gewaltigsten Tutti­gewitter zeigt Thielemann, welche dynamischen Schattierungen möglich sind. Dabei besitzen selbst die „härtesten“, lauten Passagen ungeheure Sinnlichkeit und, ja, Leichtigkeit. Ein hehres Wunder! Auch sonst wird man musikalisch ziemlich glücklich, wenn man davon absieht, dass es im ersten Aufzug einige Wackler gibt und die Chöre (Einstudierung Eberhard Friedrich) mehrfach nicht ganz koordiniert wirken. Premierennervosität?

Auch Anja Harteros als Elsa von Brabant, jenes luftige, liebende, liebevolle Wesen, müht sich anfangs arg. Nicht ganz präzise und zu schwer tönt ihre Stimme. Dagegen geht Waltraud Meier als böse, intrigante Ortrud bei ihrem fulminanten Hügel-Comeback erst ganz am Ende ein wenig die Puste aus, sie wird vom Publikum indes ausführlichst gefeiert, was sie durch wirklich sehr langes Verharren vor dem Vorhang allerdings auch kräftig unterstützt. Ortruds „partner in crime“ Telramund wird von Tomasz Konieczny gesungen, wobei Singen im Verlauf eher Brüllen bedeutet, was zwar zum Charakter der Rolle passt, schlussendlich jedoch sehr auf die Hörnerven geht. Georg Zeppenfeld ist ein wohltönender König Heinrich. Haben wir jemand wichtigen vergessen? In der Tat. Besser als Piotr Beczała – eingesprungen für den aufgrund von Problemen mit der deutschen Sprache und manch anderem verhinderten Roberto Alagna – kann man die Titelpartie wohl kaum verkörpern. Damit ist explizit auch Jonas Kaufmann gemeint. Dank Beczała hört man keinerlei Gaumiges, kein überkandideltes Heldenschluchzen, sondern eine bis in feinste Nuancen gestaltete Interpretation. Herrlich die Gralserzählung, eindringlich die Warnungen vor all zu neugierigen Fragereien, alles ist schlicht toll, toll, toll!

Laut Programmheft gab es auch eine Inszenierung, für die das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy sowie der junge Regisseur Yuval Sharon verantwortlich zeichnen. Die drei lebten während der Proben in einer Wohngemeinschaft und vermutlich führte gerade dieser (zu) enge Kontakt zu einer gewissen Blindheit. Was sich das Trio – wie wir vermuten wollen – Kluges ausgedacht hat, vermittelt sich nicht. Neo Rauch gehört zur Neuen Leipziger Schule und ist völlig zu Recht ein Weltstar. Er schafft eigenwillige, eigenartige Bildwelten mit einer spezifischen, eher kühlen Farbdramaturgie, unwirklich unwirtlichen Landschaften, merkwürdigen Industriebauten und technischen Apparaturen, hinzu kommen teilweise un- oder halbmenschliche Wesen. Entschlüsselbar sind Rauchs Sujets kaum, das ist Teil des Konzepts.

Auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses rutschen die zweidimensionalen Bilder nun ins Dreidimensionale – und es bleibt auch hier alles unklar und nebulös. Rauch hat gemeinsam mit Rosa Loy unspezifische Kostüme gestaltet, es gibt halbe Halskrausen, wallende Kleider, die zentralen Protagonisten besitzen Insektenflügel. Telramund verliert einen davon beim Kampf mit Lohengrin, die beiden fliegen dabei tatsächlich durch die Luft. Ansonsten sieht man ein Umspannwerk, welches bei der (nicht realisierten) Liebesnacht zwischen Lohengrin und Elsa gefährlich blitzt und surrt. Wolken, angedeutete Bäume, im Bühnenhimmel platzierte Kondensatoren verweisen auf – ja was?

Yuval Sharon stellt in diese Räume Abziehbildchen statt Charaktere, der Chor erstarrt oft bis zur Bewegungslosigkeit. Am Ende kommt der hier offenbar nicht gütige Neu-Erlöser Gottfried als grünes, zittriges Wesen herbei, hernach verschmachtet der größte Teil des Personals. Warum?

Beim Staatsempfang lobte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Künstler. Ein britischer Kollege meinte, das sei schon etwas merkwürdig, all die Verweise auf Star Trek und Co. Raumschiff Enterprise dürfte jedoch von der eigentlichen Konzeption in etwa so weit entfernt sein wie der Stern Sirius vom Festspielhaus. Allerdings ist Markus Söder ein bekennender Trekkie. Insofern ist der neue Bayreuther „Lohengrin“ für manche vielleicht doch eine Offenbarung geworden.