Das Dieselprivileg: Relikt einer überholten Verkehrspolitik
Mit der steuerlichen Begünstigung von Diesel sollte ursprünglich der gewerbliche Lkw-Verkehr unterstützt werden – es ist ein Relikt einer überholten Verkehrspolitik. Der Handlungsdruck auf die Politik steigt. Der Diesel wird zum Symbol für Mut- und Konzeptlosigkeit in der Politik bei wichtigen Zukunftsfragen.
Von Ludwig Schmutzhard
Mit dem Diesel-Abgasskandal kam das Dieselprivileg wieder ins Gerede: Von den meisten Staaten der EU wird Diesel seit rund 25 Jahren bei der Mineralölsteuer (MÖSt) gegenüber Benzin begünstigt, obwohl die Typprüf-Grenzwerte für Stickoxide (NOx) bei Dieselautos deutlich höher sind als bei Benzin-Pkws. Der Staat bevorzugt und fördert jene Autos, die mehr gesundheitsschädliches NOx ausstoßen. Das ist das Gegenteil von verursachergerecht – klingt nach Klientelpolitik.
Dazu kommt, dass Dieselautos die (höheren) NOx-Grenzwerte real im Verkehr bei Weitem nicht einhalten. Im Herbst 2015 hatte VW die Abgas-Manipulation bei weltweit elf Millionen Pkw gestanden. Inzwischen ist bekannt, dass auch andere Hersteller Schummel-Software installiert haben. Die betrogenen Kunden werden angesichts drohender Dieselfahrverbote mit einem Software-Update abgespeist – ohne Rechtssicherheit über tatsächliche Wirkungen oder vor Fahrverboten. Mit Umweltprämien wird geworben, alte gegen neue „saubere“ Dieselautos einzutauschen. Laufend werden jedoch weitere Mogelkonzepte bekannt. Sogar neue Euro-6-Dieselmo- delle sind betroffen (mit SCR-Katalysator). „Bessere Luft durch neue Autos“ wurde von der Industrie selbst kompromittiert – die blamierte Politik schweigt und lockt weiter Dieselkäufer mit niedriger MÖSt.
Auch bei Euro-VI-Lkw soll manipuliert werden. So wird nicht nur beim Zusatzstoff AdBlue zur Abgasreinigung „gespart“, sondern auch bei den Mautkosten – zum Schaden für die Umwelt.
Anrecht auf Einhaltung der Grenzwerte
Die illegalen Praktiken erklären, warum sich die Luftbelastung an stark befahrenen Straßen nicht annähernd analog zur Reduktion der Abgasgrenzwerte verbessert hat. Die Grenzwerte für NO2-Luftbelastung werden massiv überschritten. Nach EU-Recht müssten sie seit 2010 eingehalten werden. Hohe NO2-Konzentrationen sind laut EU für jährlich knapp 70.000 vorzeitige Todesfälle in Europa verantwortlich, das ist fast das Dreifache der Toten im Straßenverkehr. Die Kommission hat nun entschieden, sechs Staaten wegen der Luftbelastung zu klagen.
Mittels Gerichtsurteilen wurde in Deutschland geklärt, dass Fahrverbote für Dieselautos erlaubt, ja sogar erforderlich seien, um die Gesundheit der Bürger endlich effektiv zu schützen.
Gründe für das Steuerprivileg
Mit der steuerlichen Begünstigung von Diesel sollte ursprünglich der gewerbliche Lkw-Verkehr unterstützt werden. Dieses Argument verwendet heute kein Politiker mehr. Es ist also ein Relikt einer überholten Verkehrspolitik.
Nun wird zur Rechtfertigung des Dieselprivilegs der Klimaschutz bemüht: Ohne Diesel wären die Klimaziele in Gefahr. Das ist falsch. Der Vorteil des besseren Wirkungsgrads beim Dieselmotor wird nämlich durch höhere CO2-Emissionen pro Liter Diesel kompensiert. Diesel bestärkt vielmehr den Trend zu schweren Fahrzeugen und SUV, die mehr CO2 ausstoßen. Die mittlere Motorleistung bei Neuwagen stieg in Deutschland auf 150 PS. 150 Pferdestärken für die Beförderung von einzelnen Personen – ein abwegiger „Fortschritt“. Mit dem Klimaschutz kann das Steuerprivileg sicher nicht begründet werden. Nachdem für die Klimabilanz der verkaufte Treibstoff zählt, wirkt sich billiger Diesel wegen des Tanktourismus sogar äußerst negativ aus. Eine klimaverträgliche Verkehrspolitik braucht andere Ansätze – abseits von Diesel und Benzin.
Auch mit sozialpolitischen Argumenten wird versucht, das Dieselprivileg zu begründen und die MÖSt-Anpassung als Anschlag auf die „kleinen“ Pendler hinzustellen. Das ist der nächste Unsinn, da der Dieselanteil speziell bei den Pkws der Oberklasse, den SUVs, den Dienst- und Firmenwägen sehr hoch ist – das sind nicht die bevorzugten Autos der sozial Schwächeren. Für die kleineren Benziner muss hingegen die hohe MÖSt gezahlt werden. Zur sozialen Fairness wäre eine Umkehrung der Steuersätze angebracht. Das Dieselprivileg bringt keinen Ausgleich zwischen Arm und Reich. Dazu braucht es treffsichere Sozialpolitik – keine fadenscheinige Verkehrspolitik.
Verschämt wird das Dieselprivileg auch mit zusätzlichen Steuereinnahmen aus dem Tanktourismus verteidigt (die Treibstoffpreise in Österreich sind im Vergleich zu den Nachbar- und Alpenländern relativ günstig). Volkswirtschaftlich betrachtet zahlt sich Tanktourismus jedoch nicht aus, da die Kostenseite gesamthaft zu betrachten ist, inklusive der negativen Wirkungen auf Gesundheit, Umwelt, Klimaschutz und der verkehrspolitischen Folgekosten.
Weitere Konsequenzen des Dieselprivilegs
Tanktourismus kommt in erster Linie dem Straßengüterverkehr zugute: Mehr als 90 % der Kraftstoffexporte im Tank erfolgen über Lkw. Angesichts der Transitzuwächse stellt sich die Frage: Sollen wir wirklich Lastwagen unterstützen und sie wegen Steuereinnahmen anlocken, wo die Autobahnen ohnehin voll sind? Wo die Landesregierung durch Blockabfertigungen den Lkw-Zustrom dosieren muss, um den Verkehrskollaps im Inntal zu verhindern?
Auch in Italien genießen Lkw ein besonderes Steuerzuckerl: Frächtern wird die Diesel-MÖSt rückerstattet. Den hohen Dieselpreis zahlt nur der Personenverkehr.
Günstiger Diesel und (vor allem) niedrige Lkw-Mauten in Italien und Deutschland tragen dazu bei, dass der Brenner bevorzugt als Lkw-Route für die Alpenquerung gewählt wird: Jeder dritte Lkw am Brenner nimmt einen Umweg in Kauf, das heißt, es gäbe kürzere Strecken, die nicht durch Tirol führen. Niedrige Lkw-Transportkosten verzerren außerdem den Wettbewerb mit der Bahn und untergraben das politische Ziel der Verkehrsverlagerung.
Die Schweiz agiert verkehrspolitisch klüger: Verlagerungspolitik ist ein nationales Anliegen. Daher ist Diesel teurer als Benzin, die hohe Lkw-Maut (vergleichbar mit Tirol) und das Lkw-Nachtfahrverbot gelten in der gesamten Schweiz, im Nord-Süd-Verkehr also auf 300 km Länge.
Umweltbundesamt, Wirtschaftsforschungsinstitut, der deutsche Bundesrechnungshof, VW-Chef Mathias Müller oder Umweltminister Rupprechter haben sich dafür ausgesprochen, umweltschädliche Subventionen wie das Steuerprivileg für Diesel endlich zu beenden.
Politischer Handlungsbedarf
Laut Regierungsprogramm sollen „kontraproduktive Anreize und Förderungen im Umweltbereich eliminiert“ werden. Das würde das Aus für das Dieselprivileg bedeuten. Die BundesministerInnen Hartwig Löger (Finanzen), Norbert Hofer (Verkehr) und Elisabeth Köstinger (Umwelt)wollen aber jetzt nichts mehr davon wissen. Steuereinnahmen aus dem Tanktourismus sind ihnen in Wien offensichtlich wichtiger als schlechte Luft und Lkw-Kolonnen im Inntal. Weil die Abgabenquote gesenkt werden soll! Deswegen darf Umweltverschmutzen nichts kosten? Ökosoziale Marktwirtschaft setzt Kostenwahrheit voraus und funktioniert nicht über Freiwilligkeit (schon gar nicht bei falschen Anreizen).
Seit Auffliegen des Abgasskandals brechen die Verkaufszahlen von Dieselautos dramatisch ein. In Deutschland werden nur noch halb so viele Dieselautos wie Benziner verkauft. Vorher waren es gleich viele. Diesel verlor bei Neuzulassungen mehr als ein Drittel seines Marktanteils (in Österreich etwas weniger). Für die Abwärtsspirale gibt es kein Anzeichen einer Trendwende. Viele glauben den Beschwichtigungen der Autohersteller, den Halbwahrheiten von Lobbyisten sowie der widersprüchlichen, irrationalen Vorgangsweise der Regierung nicht mehr – die darauf beharrt, gesundheitsschädliche Autos und den Lkw-Verkehr weiter zu fördern.
Das einzig Positive daran: Diesel macht den Gegensatz zwischen Klientelpolitik und verantwortungsbewusster Zukunftspolitik sichtbar. Und wird dabei zum Offenbarungseid für die Regierung.