Erzählen gegen die Vereinfachung: Vertlib und die Flüchtlinge

Wien (APA) - Rechts und links, Gutmenschen und Wutbürger, Helfer, Profiteure und Scharfmacher treffen sich und haben eine Meinung: zu Flücht...

Wien (APA) - Rechts und links, Gutmenschen und Wutbürger, Helfer, Profiteure und Scharfmacher treffen sich und haben eine Meinung: zu Flüchtlingen. Simple Antworten auf schwierige Fragen stehen hoch im Kurs. Vladimir Vertlib, österreichischer Autor mit Migrationshintergrund, hat darüber einen Roman geschrieben. Einer ohne Lösungen - aber mit Empathie, mit Nüchternheit und mit Erzählvergnügen.

„Viktor hilft“ (Deuticke) trägt nicht wenige autobiografische Züge: Der Titelheld ist als Kind aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert, in Wien aufgewachsen, lebt nun in der deutschen Grenzstadt Freilassing, beruflich erfolgreich, privat glücklich verheiratet, in der Freizeit Flüchtlingshelfer im Durchgangslager nahe Salzburg. Er habe, erzählt Vertlib im Verlagsinterview, bei seinen eigenen Hilfseinsätzen viel gelernt - und sei dabei von den Traumata seiner eigenen Emigration heimgesucht worden.

Auch Viktor durchlebt die eigene Geschichte gleichsam ein zweites Mal, als er versucht, den Menschen, den so verschiedenen, einzelnen Menschen auf der Flucht, ein Stück weit mit dem Aufrechterhalten ihrer Würde zu helfen. Nüchtern und doch einfühlsam schildert Vertlib die Begegnungen mit den jungen Männern, beflissen manche, wütend andere, apathisch viele. Mit den stillen Frauen und still gewordenen Kindern, mit den gestrengen Patriarchen und den gebrechlichen Alten, mit den Konflikten zwischen den Volksgruppen und dem Dschungel der Sprachen - und mit der eigenen Befindlichkeit.

Ja, man kann Helfer sein und Realist, man kann ein „Linker“ sein und die vermeintliche moralische Überlegenheit dennoch infrage stellen - das muss Viktor spätestens dann beweisen, als er durch einen überaus unwahrscheinlichen Winkelzug des Schicksals in die Lage gebracht wird, eine angebliche, ihm bisher unbekannte Tochter aus ihrem selbst gewählten Exil heimzuholen. Die hat sich nämlich, sehr zum Missfallen ihrer Mutter, einer Jugendaffäre Viktors, von einer Familie von rechten AfD-Provinzpolitikern aufnehmen lassen.

Was folgt, ist im Grunde jene Diskussion, beleuchtet aus verschiedenen erzählerischen Blickwinkeln, die heute an Stammtischen aller Art gefunden werden kann. Vertlib bemüht sich um eine Schilderung von Rechten, ohne dabei allzu offensichtliche Abscheu durchklingen zu lassen, und von Linken, ohne sie zu augenscheinlich zu belächeln. Er lässt Argumente zu und geht über seinen Protagonisten doch klar argumentiert in den Dissens. Von seiner politischen Timeline bleibt der Roman nahe an der Realität und in der jüngeren Vergangenheit: Sebastian Kurz ist noch österreichischer Außenminister, gerade dabei, die Balkanroute zu schließen, „Merkel muss weg“ und H.C. Strache ist noch ein Oppositioneller mit verbaler Vorbildwirkung für den AfD-Nachwuchs.

Weniger gut als das klarsichtige Porträt der Flüchtlingskrise funktioniert der Familienplot. Motive und Emotionen hinter der Suche nach der vermeintlichen Tochter, hinter dem absurden Band dieser Tochter mit einem rechtsradikalen Bruder-Schwester-Paar, hinter deren Fehde mit der linksorientierten Cousine, hinter der tollpatschigen und folgenreichen Jugendaffäre mit der naiven Schwesterschülerin werden nur vordergründig behandelt - und dadurch uninteressant. Das verstärkt den Eindruck einer recht durchschaubaren Konstruktion, die vom Autor mit dem klaren Ziel errichtet wurde, daran das Flüchtlingsthema erzählerisch durchzudeklinieren. Ein Geschichtengerüst im Dienste der differenzierten Debattenkultur. Macht durchaus Sinn.

(S E R V I C E - Vladimir Vertlib: „Viktor hilft“. Deuticke Verlag, 288 S., 23,70 Euro. Lesungen am 23. Oktober im Republikanischen Club in Wien, am 6. November im Literaturhaus Salzburg und am 12. November in der Alten Schmiede.)