Wenn Sucht die Lebensqualität raubt
153 Klienten betreute die Suchtberatungsstelle Wörgl im vergangenen Jahr. Ab September berät dort auch ein Psychiater die Hilfesuchenden. Denn Suchtverhalten hat oft medizinische Hintergründe.
Von Jasmine Hrdina
Wörgl — „Dass sich suchtkranke Menschen oft nicht trauen, Hilfe zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern meist ein Symptom einer Erkrankung. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass sie krank sind", schickt Psychiater Ernest Abel voraus. Der Mediziner wird ab 25. September jeden letzten Dienstagnachmittag im Monat in der Suchtberatungsstelle Wörgl Betroffenen und Angehörigen zur Verfügung stehen (14 bis 18 Uhr, um Anmeldung wird gebeten, siehe unten). Damit erweitert die Suchtberatung Tirol (SbT) ihr kostenloses Hilfsangebot im Bezirk Kufstein um eine medizinische Fachberatung.
„Hinter einer Suchterkrankung verbergen sich oft weitere psychiatrische Erkrankungen. Die umfassende Diagnostik ist hier sehr wichtig, um passende Maßnahmen ergreifen zu können", meint Abel. So sei eine Alkoholsucht in vielen Fällen auf eine Depression zurückzuführen, als „Versuch einer Selbstbehandlung", so der Mediziner. Daneben könne sich aber noch eine Kaufsucht verstecken, ein Anzeichen einer bipolaren Störung.
„Es ist wichtig, dass wir ein ganzes Beratungssystem unter einem Dach haben", meint SbT-Geschäftsführerin Birgit Keel-Dollinger. Ob selbst betroffen oder angehörig, illegale Drogen oder Alkohol, Kaufsucht oder Glücksspiele, Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, oder Eltern, die ihr Kind beim Konsum von Cannabis ertappen — „wir sind für alle Menschen mit Suchtthematik offen, die eine Verbesserung ihrer Lebensqualität wollen", betont Keel-Dollinger.
Genetische Veranlagung, instabile Lebensverhältnisse, Schicksalsschläge — Gründe für ein Suchtverhalten gebe es viele, sind sich Sabine Höller und Gerti Pirkl einig. Die beiden Klinischen und Gesundheitspsychologinnen betreuen seit Jahren Hilfesuchende in Wörgl. Aber es führen auch mehrere Wege aus einer Krise heraus. Abstinenz sei dabei nur eine Möglichkeit. Im begleitenden Gruppenprogramm „KISS" etwa lernen Klienten, ihren Substanzkonsum so zu kontrollieren, „dass in ihrem Leben wieder mehr Platz für andere Themen wie Familie, Wohnen und Arbeit ist".
In Fällen, in denen keine Möglichkeit besteht, zur Beratungsstelle in der Wörgler Bahnhofstraße 42a zu kommen, gibt es die mobile Sozialarbeit, die Betroffene zu Hause aufsucht. „Unser Angebot ist breit gefächert und richtet sich nach den Bedürfnissen der Klienten. Auf Wunsch begleiten wir sie auch auf Ämter oder etwa das AMS", so Höller. Nicht selten seien es Angehörige, die den ersten Schritt machen und in die Beratungsstelle kommen. Erst im Laufe des Gesprächs erkennen dann Betroffene, dass ein Problem vorliegt. „Wenn es uns gelingt, zu dem Menschen eine Beziehung aufzubauen, ist das schon ein erster Erfolg", ermutigt Keel-Dollinger, das kostenlose und anonyme Angebot zu nutzen.
Suchtberatungsstelle
Klienten: 153 Klienten betreute das Team der SbT im vergangenen Jahr im Bezirk Kufstein (124 Betroffene, 29 Angehörige). 90 % der Klienten sind männlich, 85 % der Angehörigen weiblich.
Illegaler Drogenkonsum: Mehr als die Hälfte der Betroffenen gibt Cannabis als Leitdroge an, 15 % Opiate und 13 % Kokain.
Hilfestellung: Suchtberatung Tirol, Beratungsstelle Wörgl, Bahnhofstr. 42a (neben dem Haupteingang des City Centers), Tel. 05332/72782 oder 0512/580080. Weitere Infos unter www.verein-suchtberatung.at