Leistungsbilanz - Deutschlands ungeliebter Weltmeistertitel

Berlin/Washington (APA/Reuters) - Es gibt Weltmeistertitel, die eher Last als Ehre sind. Wenn Deutschland nun, wie vom Ifo-Institut errechne...

Berlin/Washington (APA/Reuters) - Es gibt Weltmeistertitel, die eher Last als Ehre sind. Wenn Deutschland nun, wie vom Ifo-Institut errechnet, im laufenden Jahr mit 299 Mrd. Dollar (262 Mrd. Euro) zum dritten Mal in Folge den weltweit höchsten Überschuss im Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie im Kapitalverkehr mit dem Ausland erzielt, dann bürgt das vor allem für eines: für weiteren Konfliktstoff mit US-Präsident Donald Trump.

Auch andere Handelspartner in und außerhalb der Europäischen Union sind nicht erfreut. Die USA stehen am anderen Ende der Skala: Sie dürften mit knapp 420 Mrd. Dollar das größte Defizit im Handel aufweisen.

IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld und andere Experten geben Deutschland wegen der hohen Überschüsse eine Mitschuld für die eskalierenden Handelskonflikte und wachsenden Protektionismus in der Welt. „Der Überschuss ist im wachsenden Maße ein Streitpunkt mit seinen Handelspartnern, namentlich denen aus den anderen EU-Ländern und den USA“, schrieben etwa jüngst die Experten der Bertelsmann-Stiftung in einer in Washington veröffentlichten Studie. Das sorgt für wachsenden Druck auf die deutsche Politik, etwas zu ändern. Dass dies schnell geht, glaubt indes kaum ein Experte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geißelt hohe Defizite und hohe Überschüsse in der globalen Wirtschaft seit langem als Stabilitätsrisiken. IWF-Chefin Christine Lagarde etwa sagte vor einigen Monaten, wenn ein Staat wie Deutschland acht Prozent seiner Wirtschaftskraft als Leistungsbilanzüberschuss ausweise, dann zeige das, dass es die deutschen Haushalte und Firmen immer noch vorzögen, mehr auf die Seite zu legen als zu investieren.

Lagarde und andere Kritiker halten es zwar für berechtigt, dass Deutschland wegen der alternden Gesellschaft für die Zukunft vorsorge. Aber was das Land Jahr für Jahr als Leistungsbilanzüberschuss ausweise, sei einfach „viel zu hoch“. Lagardes Rezept zur Korrektur lautet in erster Linie: mehr Investitionen im Inland und mehr Bemühungen, die Menschen länger in Arbeit zu halten: „Wir müssen fragen, warum die deutschen Haushalte und Firmen so viel sparen und so wenig investieren und wir müssen danach fragen, mit welcher Politik man das ändern kann.“ Die deutsche Wirtschaft folgt ihr in diesem Punkt: Ihre Spitzenverbände fordern schon lange, dass die Regierung mehr tun müsse, um Investitionen im Lande attraktiver zu machen - etwa mit steuerlichen Reformen.

Fast schamhaft verwies indes erst jüngst eine Sprecherin des Wirtschaftsministerium darauf, dass die Leistungsbilanzzahlen „keine politische Zielvariable“ seien. Abseits dessen führt die Regierung an, dass sie ja die Investitionen schon hochgefahren und den Konsum gestärkt habe - etwa über den Mindestlohn oder höhere Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst. Das, so die Lehrmeinung, sollte ein probates Mittel sein, die Nachfrage im eigenen Land zu stärken, auch zum Nutzen der Handelspartner, und damit die Überschüsse in der Leistungsbilanz abzubauen.

Allerdings: Die Auswirkungen dieser Politik auf die Zahlen bleiben begrenzt. Die nun von Ifo genannte Zahl von 7,8 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung oder auch die 7,5 Prozent, die die Regierung in Aussicht stellt, sind zwar weniger, als die rund neun Prozent im Jahre 2015, aber immer noch weit von dem entfernt, was EU-Kommission und IWF für vertretbar halten.

Die Chancen, dass Deutschland demnächst aus der Bredouille herauskommt und den wenig honorigen Weltmeistertitel abgeben kann, bleiben gering. „Es gibt keine einfache Lösung oder kurzfristig wirkenden Mittel gegen Deutschlands beträchtliches Leistungsbilanzplus“, heiß es in der Bertelsmann-Studie. Es gebe eben viele Gründe für die Entwicklung. Dazu zählen auch solche, auf die Berlin keinen Einfluss hat, etwa die Zinspolitik der Notenbank oder die Wechselkursentwicklung, die US-Präsident Donald Trump mit seinen Kommentaren wiederholt beeinflusst hat.