Geständnis im Prozess um in Wien-Favoriten erstochene junge Afghanin

Wien (APA) - Unter regem medialen Interesse ist am Mittwoch in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Schwurgerichtssaal am Landesgericht...

Wien (APA) - Unter regem medialen Interesse ist am Mittwoch in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Schwurgerichtssaal am Landesgericht Wien gegen einen gebürtigen Afghanen verhandelt worden, der am 18. September 2017 in der Puchsbaumgasse in Favoriten seine jüngere Schwester vorsätzlich mit einem Kampfmesser getötet haben soll. Der Angeklagte bekannte sich zum inkriminierten Mord schuldig: „Ich gestehe.“

Zu weiteren Angaben war er nicht bereit, Fragen wollte er nicht beantworten: „Ich möchte um Verzeihung bitten. Ich habe eine Straftat begangen. Ich möchte nicht mehr weiter sprechen.“ Die Straftat habe er „wegen der Kultur begangen“, fügte er noch hinzu.

„Das, was hier passiert ist, kann man nicht entschuldigen“, betonte Verteidiger Nikolaus Rast. Der aus Afghanistan stammende junge Mann, der 2013 nach Wien gekommen war, hätte nach seiner Flucht „gewisse Sitten und Riten nicht abgelegt“. Er bzw. seine Familie hätten sich „nicht nach dem Land gerichtet, in dem er lebt“.

Laut Anklage stach der spätestens am 29. Mai 1996 geborene und damit mittlerweile 22-Jährige am 18. September 2017 mit einem Kampfmesser mit einer Klingenlänge von circa 20 Zentimetern zu. Er brachte der Schwester - sie hatte sich als 14 ausgegeben, war laut Obduktionsgutachten zum Zeitpunkt ihres Todes aber schon 17 oder 18 Jahre alt - 28 bis zu acht Zentimeter tiefe Schnitt- und Stichwunden bei.

„Das ist kein 14-jähriges Mäderl gewesen“, stellte Gerichtsmediziner Christian Reiter klar. Es habe sich „um eine ausgewachsene junge Frau gehandelt“. In deren Familie habe es offenbar „keine richtigen Altersangaben gegeben“. Die Stiche wurden laut Reiter „mit großer Wucht und großer Energie“ geführt, vermutlich wurde auch noch auf die bereits am Boden Liegende eingestochen. Der Hals, der linke Oberarm und der linke Unterschenkel wurden durchstochen. Die Klinge verletzte weiters die Leber, beide Nieren, den Magen, Dünn- und Dickdarm und die Oberschenkelschlagader. Die junge Frau hatte nicht die geringste Überlebenschance.

„Sie wollte einen Neuanfang. Sie hat sich den Zwängen der afghanischen Gesellschaft widersetzt“, berichtete Staatsanwalt Mario Bandarra. Das Mädchen war im Juli 2017 in ein Krisenzentrum nach Graz geflüchtet, nachdem es zu Hause wiederholt zu Handgreiflichkeiten gekommen war. Ihr Vater und - angeblich auf dessen Anweisungen hin - der ältere Bruder sollen sie geschlagen haben. Die Schülerin lehnte sich immer stärker gegen die väterlichen Vorgaben - sie durfte ohne Begleitung nicht außer Haus und musste Kopftuch tragen - auf.

Auch einen ersten Freund dürfte es bereits gegeben haben. Im Krisenzentrum erzählte das Mädchen, der nunmehr angeklagte Bruder hätte sie tyrannisiert. Er soll sie etwa gezwungen haben, sein T-Shirt zu bügeln, und tätlich geworden sein, wenn sie sich weigerte.

Ungeachtet all dessen und obwohl sie eine polizeiliche Anzeige erstattet hatte, ließ sich die Schülerin zu einer Rückkehr von Graz zu ihrer Familie überreden. Sie hielt bei einer ergänzenden Befragung auch ihre ursprünglichen Angaben vor der Polizei nicht mehr aufrecht, so dass sicherheitsbehördlich nicht gegen den Vater und den Bruder vorgegangen werden konnte. Die Lebensumstände zu Hause dürften sich jedoch nicht gebessert haben. Am 14. September - und damit vier Tage vor ihrem Tod - flüchtete das Mädchen erneut, diesmal in ein Krisenzentrum in der Bundeshauptstadt. Den Betreuern erzählte sie, sie hätte Angst vor ihrer Familie. Ihr Vater wolle mit ihr nach Afghanistan fliegen, um sie gegen ihren Willen zu verheiraten.

„Sie hat ausgeschaut wie ein typisches muslimisches Mädchen. Lange Kleider, Kopftuch“, erinnerte sich eine Mitarbeiterin des Jugendamts im Zeugenstand. Das Mädchen hätte sich sehr auf die Schule und die bevorstehenden berufsvorbereitenden Tage gefreut: „Sie hat so gewirkt, als hätte sie sich bei uns sicher gefühlt.“

Am 18. September passte sie dann ihr älterer Bruder in der U-Bahn-Station Reumannplatz ab, als sie in die Schule wollte. Seinen Angaben zufolge wollte er sie überreden, wieder nach Hause zu kommen. Als die Schwester nicht mit sich reden ließ und ihm einen Stoß versetzte, zog er laut Anklage in einem Innenhof in der Puchsbaumgasse sein Messer und brachte sie damit zu Tode. „Sie hat sich gegen Vater und Mutter und die Regeln der afghanischen Community gestellt“, bemerkte dazu der Staatsanwalt. Er verwies explizit darauf, dass das Mädchen beim ersten Schulbesuch noch von einer Mitarbeiterin des Kriseninterventionszentrums begleitet wurde. Das war in weiterer Folge aus personellen Kapazitätsgründen nicht mehr möglich: „Das wurde ihr zum Verhängnis.“

Nach seiner Festnahme erklärte der Angeklagte, die Schwester hätte ihm einen Stoß gegeben und ihm damit gezeigt, dass sie keinen Respekt vor ihm habe. „Da habe ich auch keinen Respekt mehr vor ihr gehabt“, gab er zu Protokoll. Er bedauere zwar ihren Tod. Es sei aber „gut, dass sie tot ist, weil sie die Ehre der Familie beschmutzt hat“, zitierte der Staatsanwalt aus dem Polizeiprotokoll.

„Er ist selbst Opfer der Familie“, gab Verteidiger Rast zu bedenken. Auch sein Mandant hätte unter der starken Hand des Vaters gelitten und diese zu spüren bekommen. Der mutmaßlich 22-Jährige habe zuletzt im Park geschlafen, weil er es zu Hause nicht mehr aushielt. Er sei vom Vater in jüngeren Jahren mit einem Kabel verdroschen worden, sei 2015 selbst ins Krisenzentrum gegangen. Für den Verteidiger stand fest, dass familiäre Hintergründe ausschlaggebend für die Bluttat waren. Der Angeklagte sei „in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Werkzeug“, sagte Rast.

Der Verdacht, dass der Vater bzw. die Familie den Angeklagten angestiftet hatten, ließ sich nicht erhärten. Fest steht, dass der Angeklagte kurz vor bzw. während des Zusammentreffens mit seiner jüngeren Schwester über ein Headset telefonierte - mit wem, ließ sich nicht ermitteln. Auf Bildmaterial der Wiener Linien ist auch zu sehen, wie unmittelbar nach dem 22-Jährigen dessen Vater ein Rolltreppe in der U-Bahn-Station Reumannplatz benützt. Eine Beteiligung an dem Verbrechen war dem Mann aber nach längeren Erhebungen und Auswertung seiner Rufdaten nicht nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn kein Verfahren eingeleitet.

(Weitere Zusammenfassung folgt nach dem Urteilsspruch)