Todtraurig und doch lebenslustig: Daniel Wissers „Königin der Berge“

Wien (APA) - Sie ist kühl und konsequent, unnahbar und unerbittlich: die „Königin der Berge“. So nennt Robert Turin die Krankheit, die ihn i...

Wien (APA) - Sie ist kühl und konsequent, unnahbar und unerbittlich: die „Königin der Berge“. So nennt Robert Turin die Krankheit, die ihn in der Mitte seines Lebens aus der Bahn geworfen, in den Rollstuhl gezwungen und in ein Pflegeheim gebracht hat: Multiple Sklerose. Und so nennt Daniel Wisser seinen neuen Roman, den er morgen, Donnerstag, im Rahmen des O-Töne-Festivals im Wiener Museumsquartier vorstellt.

Gleich vorweg: Wissers Roman zählt zum Gelungensten und Berührendsten, das in den vergangenen Jahren über Krankheit und Tod, Lieben und Leiden geschrieben wurde. Wisser, 1971 in Klagenfurt geboren und als Autor („Ein weißer Elefant“ u.a.), literarischer Performer und Musiker (mit dem Ersten Wiener Heimorgelorchester) in Wien lebend, hat eine eigenwillige, doch bestechende Form für sein Thema gefunden und schafft es, Roberts Insistieren auf sein Recht, einem absehbaren, qualvollen Siechtum durch ein selbst bestimmtes Sterben zu entkommen, so viel Tragikomisches mitzugeben, dass man sich szenenweise in einem Film von Woody Allen oder Roberto Benigni wähnt. Dazu passen auch die wie in einem Theaterstück oder Filmscript langen, eingefügten Dialogpassagen, bei denen gelegentlich auch nicht Anwesende ebenso zu Wort kommen wie Turins toter Kater Dukakis, mit dem der Todkranke immer wieder Zwiesprache hält.

Wissers Umgang mit seinem Material ist souverän. „Herr Turin“ (der großen Wert darauf legt, dass sein Nachname auf der ersten Silbe betont wird), ein ehemals erfolgreicher IT-Firmengründer, der mit 36 Jahren auf die MS-Station eines Wiener Pflegeheims kam und nun hier seinen 46. Geburtstag feiert, ist ein Ober-Checker, der, soweit es seine Krankheit zulässt, die Fäden gerne in der Hand hält. Dennoch ist er nur passagenweise der Ich-Erzähler, wie auch gelegentlich die klassische Einheit von Ort, Zeit und Handlung, die „Königin der Berge“ zu einem pointierten Kammerspiel macht, durchbrochen wird. Ein Ausflug zur Geburtstagsparty der Haus-Psychologin oder Besuche eines Lokals im nahen, neu eröffneten und barrierefrei zugänglichen Shoppingcenter sind Abenteuer, die einen Alltag durchbrechen, der dem Protagonisten an sich nicht unangenehm ist.

Robert Turin ist ein interessanter Charakter, der versucht, das Beste aus seiner Situation zu machen. Dazu zählt, dass er seinen Charme so spielen lässt, dass sein Umgang mit den Pflegerinnen alle Spielarten zwischen Freundlichkeit, Flirt und Übergriff umfasst, dass er seiner Vorliebe für Grünen Veltliner ungehemmt freien Lauf lässt, und dass er sein letztes Lebensprojekt hartnäckig vorantreibt: seinen Tod. Der ist aber nicht einfach zu bewerkstelligen. Zwei Selbstmordversuche scheitern auf groteske Weise, und nur durch gemeinsame Vertuschungsstrategien mit dem Anstaltspersonal, das einen imageschädigenden Skandal unbedingt vermeiden möchte, gelingt es ihm, die Zwangseinweisung in eine Psychiatrie zu vermeiden. Bleibt nur noch die Schweiz. Dort ist „Freitodbegleitung“ gestattet, und die bürokratischen Hindernisse dafür hat Turin bald überwunden. Fehlt ihm nur noch jemand, der ihn in die Schweiz fährt.

Die Suche nach einem Chauffeur (der wohl eine Chauffeuse sein wird) für den finalen Ausflug seines Lebens, ist neben den Selbstmordversuchen einer der Running Gags dieses ebenso todtraurigen wie nahezu heiteren Buches, das einen beim Lesen gefangen nimmt. Kandidatinnen für die Todesfahrt sind Roberts innig geliebte Frau Irene, sein Schwägerin Christiane (genannt Beba) und die Psychologin Katharina. „Wie machst du das immer mit den Weibern?“, wundert sich nicht nur die Schwägerin (mit der ihn eine kurze Affäre verbindet). „Dass die immer tun, was du willst.“ Doch wie groß muss eine Liebe sein, um diesen letzten Liebesdienst auch tatsächlich zu erweisen?

Turins „Königin der Berge“ ist grausam und unbestechlich. Wissers „Königin der Berge“ hingegen zeigt bestechend, wie traumwandlerisch sicher man über Tod und Leben schreiben kann, ohne je in Absturzgefahr zu geraten. Ein souveräner literarischer Gipfelsieg.

(S E R V I C E - Daniel Wisser: „Königin der Berge“, Jung & Jung, 400 S., 24 Euro; Lesung am Donnerstag, 20 Uhr, bei den O-Tönen im Museumsquartier; www.danielwisser.net)