Komplizierte Verführung in höchsten Kreisen
Johann Adolf Hasses wiedergefundene Serenata „Semele“ von Claudio Osele bei den Festwochen der Alten Musik präsentiert.
Von Ursula Strohal
Innsbruck –Als „historisch informiert“ erweisen sich die besten Spezialisten für Musik, und die Grenzen haben sich längst bis ins 20. Jahrhundert hinein verschoben. Musikalische Parameter sind durch Quellenstudium zumindest relativ greifbar, und mehr Fragen offen, je weiter man zeitlich zurückgeht. Bleibt, vor allem in der Vokalmusik, die mit dem Text an Begrifflichkeit gebunden ist, der kulturhistorische Aspekt.
Wie viel ist da zurückzuholen? Aus jener Zeit und Region, die das Kunstwerk aufnahm, aus jenen Traditionen? Sind die Metaphern, Symbole, Chiffren noch aufzulösen, was war dem fernen Publikum selbstverständlich und begreiflich, was Pointe und Ironie? Spezialisten unserer Tage mögen noch Zitate und Anspielungen ausmachen.
Die ersten öffentlichen Theater im Venedig des 17. Jahrhunderts hatten ein breites Publikum, das es zu füttern galt. Als der junge Deutsche Johann Adolf Hasse, Jahrgang 1699, ins Musikzentrum Neapel ging, und dort aufgrund seiner Opernkunst „Il divino Sassone“ (der göttliche Sachse) wurde, traf er Mitte der 1720er-Jahre mit seinen Serenatas jedoch auf einen hochgebildeten Spezialistenzirkel. Diese Herrschaften, sagt der Dirigent und Musikforscher Claudio Osele, wollten „in jedem Theaterstück etwas vom eigenen Wissen erkennen“.
Osele hat Hasses Serenata „La Semele o sia la richiesta fatale“ (Semele oder Die fatale Forderung) von 1726 in Wien entdeckt und nun bei den Festwochen der Alten Musik im Tiroler Landstheater vorgestellt. Die Serenata ist kürzer als die Opera seria, perlt aber wie die große Schwester Arie an Arie und wechselt auch in den Rezitativen ab, die Accompagnati voller Ausdruck und Wirkung. Die Arien sind überwiegend lang, Osele unterfüttert und lenkt sie vital, Emotionen und Ausdrucksnuancen beisteuernd mit seinem mit Streichern und Basso continuo besetzten Orchester Le Musiche Nove.
Hasse schreibt anspruchsvoll, geschmeidig und sängerfreundlich, aber die Dreiecksgeschichte um den zur erotischen Bedrängung neigenden Jupiter, seine wenig erbaute Gattin Juno, primär um ihre göttliche Vorrangstellung besorgt, und die junge, ungesunde Forderungen stellende Semele kann sich doch etwas ziehen. Da haben die Jahrhunderte einiges Wissen verschluckt.
Doch es gibt viel herrliche Musik, die emotionale Bindung nimmt zu, Jupiters Würde ein wenig ab und die prominente Besetzung punktet. Roberta Invernizzis Juno, anfangs in der Intonation variabel, wird immer virtuoser und Sonia Prinas spektakulärer Alt formt einen schillernden Göttervater. Francesca Aspromonte, Semele, ist eine Entdeckung mit der Lyrik ihres ausdrucksvollen, gut geführten Soprans.
Die Szene, immerhin von Georg Quander betreut, ist als halbszenisch ausgewiesen, aber es brauchte nicht mehr als den wirkungsvoll variierten Hintergrund und ein bisschen arkadisches Feeling. Die Kleidchen (Bühneneinrichtung, Kostüme: Veronika Stemberger) der ewig sich räkelnden Semele fallen allerdings zu kurz aus, wenn sie dauernd hinuntergezupft werden müssen, freundlicherweise selbst von Jupiter.