Asylwerber-Lehre: Abschaffung eines „brillanten Modells“
Die Regierungspläne sind laut „Talente für Österreich“-Chef Josef Missethon gleich in dreifacher Hinsicht kontraproduktiv. Demografie-Forscherin Judith Kohlenberger betont die großen regionalen Unterschiede bei offenen Lehrstellen.
Wien – Für Kopfschütteln sorgen die Regierungspläne bei Projekten, die Flüchtlinge am Arbeitsmarkt integrieren. Dass Asylwerber keine Lehre mehr beginnen dürfen, sei kontraproduktiv – für die Wirtschaft, den Staat und auch für die Jugendlichen selbst, die in die Warteschleife und ins Sozialsystem geschickt werden, kritisierte Josef Missethon, Chef von „Talente für Österreich“ am Montag.
Die Talenteentwicklung Missethon GmbH führt aktuell rund 110 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Trofaiach (Steiermark), Niklasdorf (Steiermark) und Korneuburg (Niederösterreich) an die Lehre am Bau und in der Gastronomie heran. Die Jugendlichen – vorwiegend aus Afghanistan und Syrien – werden rund um die Uhr betreut und besuchen von Montag bis Freitag täglich eine Schule mit Internat. Ziel des Projekts ist es, sie auf eine Lehre in Mangelberufen vorzubereiten.
Jugendlichen Struktur geben
Missethon betreut sowohl Asylwerber, als auch bereits Asylberechtigte, wie er erklärte. „Wir haben das aufgezogen als Schule, um den Jugendlichen eine Struktur zu geben“, so Missethon, Bruder des Ex-ÖVP-Generalsekretärs Hannes Missethon.
Nach ein bis zwei Jahren, sobald die Jugendlichen ausreichend gut Deutsch können, um die Berufsschule zu schaffen (Sprachniveau B1), werden sie in Lehrstellen vermittelt. „Das funktioniert wirklich gut“, so Josef Missethon. Bisher habe es erst zwei Lehrabbrüche gegeben – von derzeit 35 Lehrlingen.
15 von den Lehrlingen waren bisher bedroht, während der Lehrausbildung abgeschoben zu werden. Nach den neuen Plänen der Regierung sollen sie zumindest ihre Lehre abschließen dürfen, was Missethon begrüßte. Für danach fordert Missethon einen Aufenthaltstitel, um den Fachkräfte-Bedarf der Wirtschaft zu decken.
Missethon: Politik unterschätzt Fachkräftemangel
Dass nun Asylwerber keine Lehre mehr beginnen dürfen, ist für Missethon aber unverständlich. Aus seiner Sicht unterschätzt die Politik den Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung am Land. Er plädierte für einen pragmatischeren Zugang und eine differenzierte Diskussion. Es gebe Gegenden in Österreich, wo Betriebe hängeringend nach Lehrlingen suchen. Und auf der anderen Seite gebe es Asylwerber, die für eine Lehrestelle infrage kämen.
„Was mir vor drei Jahren auch noch nicht bewusst war: Wir haben in Österreich mit der Lehre ein brillantes System, um Migranten in den Arbeitsmarkt, sogar als Fachkräfte, zu integrieren“, sagte Missethon. Was es brauche, sei eine saubere gesetzliche Regelung, für die, die schon da sind und engagiert seien. Dabei sollten auch die bisher gemachten Erfahrungen berücksichtigt werden.
„Drei negative Auswirkungen“
Der von der Regierung geplante Stopp der Lehre für Asylwerber in Mangelberufen hat Missethon zufolge „drei negative Auswirkungen“ – auf die Wirtschaft, den Staat und auf die betroffenen Jugendlichen. Für die lokale Wirtschaft außerhalb der Ballungsräume könnte der Fachkräftemangel schlimmer werden, wenn etwa Handwerker fürs Tagesgeschäft fehlen. Für das staatliche Sozialsystem ist es laut Missethon teurer, wenn Asylwerber ein oder zwei Jahre Mindestsicherung beziehen, während sie auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, anstatt als Lehrlinge Sozialversicherungsbeiträge einzuzahlen. Für die Jugendlichen selbst fehle es in der Zeit, in der sie sich in Warteposition befinden, an Perspektiven und Zielen, sagte Missethon.
Vor allem Tourismus- und Gastrobetrieb betroffen
Aus Expertensicht betrifft das Thema Asylwerber in Lehre hauptsächlich Tourismus- und Gastronomiebetriebe, insbesondere im Westen Österreichs. „Was in der Diskussion oft außer Acht gelassen wird, ist dass es in Österreich ein Stadt-Land-Gefälle gibt“, sagte Judith Kohlenberger, die an der Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien zu Demografie und Migration forscht, im Gespräch mit der APA. „Es ist ein sehr regionales Problem. Das erklärt auch die Diskrepanz zwischen offenen Lehrstellen und Lehrstellensuchenden“, so Kohlenberger. Was die Expertin meint, ist, dass es sein kann, dass es in einem Beruf in Ballungsräumen wie Wien zu viele Lehrstellensuchende gibt, und gleichzeitig in einem Tal in Salzburg oder Tirol viele Betriebe, die Lehrlinge suchen.
Kohlenberger verweist auf ein AMS-Pilotprojekt, bei dem Flüchtlinge unterstützt werden, in den westlichen Bundesländern Arbeitsstellen anzunehmen. Dies geschehe über Anreize, außerdem würden gleich mehrere Personen ermutigt, damit der Ortswechsel weniger schwer fällt. Generell seien Asylwerber und Asylberechtigte mobiler als autochthone Österreicher, so Kohlenberger. Allerdings würden viele Migranten auch nach Wien ziehen, weil es dort bereits eine Community gibt, in der sie Anschluss finden. Darüber hinaus könnten sie in der Bundeshauptstadt in der Regel früher einen Deutschkurs belegen. Die Mindestsicherung spiele hingegen eine geringe Rolle, sagte die WU-Forscherin. (APA)