Nach Ausschreitungen

Gewalt in Chemnitz: Kritik an der Polizei, Seehofer bietet Hilfe an

Der Städte- und Gemeindebund kritisierte die von der Polizei eingeräumte Unterbesetzung bei den jüngsten Demonstrationen in Chemnitz.
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Bei neuen Protesten in der Chemnitzer Innenstadt sind Menschen verletzt worden. Nun steht auch die Polizei für ihre eingeräumte Unterbesetzung in der Kritik. Die Politik verurteilt die Ausschreitungen scharf.

Chemnitz - Nach dem Tod eines Mannes beim Stadtfest und Angriffen auf Ausländer bleibt die Lage in Chemnitz angespannt. Bei zwei Protestaktionen muss die Polizei Rechtsextreme und Gegendemonstranten trennen. Schlimmeres konnte verhindert werden. Es seien Feuerwerkskörper und Gegenstände geworfen worden, hieß es , mindestens sechs Menschen wurden verletzt. Nach Ende der beiden Demonstrationen räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein.

Bei neuen Protesten rechter und linker Demonstranten in der Chemnitzer Innenstadt sind am Montagabend mindestens sechs Menschen verletzt worden.
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Wüste Szenen in Chemnitz: Nach dem Tod eines 35-Jährigen kam es zu Ausschreitungen.
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Anlass der Proteste waren gewalttätige Ausschreitungen am Wochenende am Rande des Stadtfestes in Chemnitz. Auslöser dafür war, dass ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden war. Gegen einen 23 alten Syrer und einen 22 Jahre alten Mann aus dem Irak wurde Haftbefehl erlassen. Ihnen wird gemeinschaftlicher Totschlag vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft hat ein Handeln der beiden Tatverdächtigen zum Selbstschutz ausgeschlossen. "Nach dem bisherigen Erkenntnisstand bestand keine Notwehrlage für die beiden Täter", teilte eine Sprecherin mit. Details zum Tathergang, bei dem zwei weitere Deutsche zum Teil schwer verletzt wurden, gab die Staatsanwaltschaft nicht bekannt.

Kritik an Unterbesetzung der Polizei

Der Städte- und Gemeindebund kritisierte die von der Polizei eingeräumte Unterbesetzung. „Das ist ein schlechtes Zeichen für den starken Rechtsstaat", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Handelsblatt. „Hier müssen die Konzepte nachgebessert werden, damit sich derartige Ereignisse nicht wiederholen."

An den Demonstrationen nahmen mehrere Tausend Menschen teil. Die Polizei versuchte mit einem Großaufgebot die von Rechten dominierte Protestveranstaltung und eine vom Bündnis „Chemnitz nazifrei" organisierte Veranstaltung zu trennen. Die Polizei ermittelt gegen zehn Personen, die den Hitlergruß gezeigt haben sollen.

Seehofer bietet Sachsens Polizei Hilfe an, Merkel verurteilt Hetze

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hat den sächsischen Sicherheitsbehörden nun Hilfe angeboten. "Sofern von dort angefordert, steht der Bund mit polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung", erklärte Seehofer. Die Betroffenheit der Chemnitzer nach der tödlichen Messerattacke sei verständlich. "Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass dies unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigt", ergänzte der CSU-Chef. "Hierfür darf es in unserem Rechtsstaat keinen Platz geben." Sein Mitgefühl gelte den Angehörigen des Opfers der Messerattacke, sagte Seehofer weiter. "Ich bedaure diesen Todesfall zutiefst."

Die Polizei versuchte mit einem Großaufgebot die von Rechten dominierte Protestveranstaltung und eine vom Bündnis „Chemnitz nazifrei“ organisierte Veranstaltung zu trennen.
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Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat die neuerlichen Ausschreitungen in Chemnitz als inakzeptabel verurteilt. "Was wir (...) gesehen haben, darf in einem Rechtsstaat keinen Platz haben", sagte die CDU-Vorsitzende am Dienstag. Die Polizei habe alles unternommen, "um die Dinge vernünftig zu Ende zu bringen", sagte sie. Es sei gut, dass Seehofer dem Bundesland Sachsen Hilfe zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung angeboten habe. "Hetzjagden", "Zusammenrottungen", "Hass auf der Straße - das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun", so Merkel. "Es darf auf keinem Platz und auf keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen", fügte sie hinzu.

Horst Seehofer.
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Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte unterdessen vor dem Risiko zunehmender Selbstjustiz. Wenn der Staat den Schutz der Bürger in deren Augen nicht mehr leisten könne, bestehe die Gefahr, dass die Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen und auf Bürgerwehren und Selbstjustiz bauen. Dies sei ein erschreckender Trend. Über die sozialen Medien könnten viele Menschen schnell mobilisiert werden. „Aus jeder Dorfschlägerei kann eine Hetzjagd werden."

Kritik an zunehmender Aggression gegen Zuwanderer

Nach den Ausschreitungen wächst auch die Kritik an zunehmender Aggression und Gewaltbereitschaft gegen Zuwanderer. „Der Rassismus bricht sich unverhohlen Bahn", sagte der Experte für Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung, Robert Lüdecke. „Die Gesellschaft ist stark polarisiert, Menschen äußern immer unverhohlener, welche Menschen sie in Deutschland haben möchten und welche nicht." Soziale Netzwerke spielten dabei eine entscheidende Rolle, „um auch über den eigenen Dunstkreis hinaus Mitstreiter für Demonstrationen und andere Aktionen zu finden". In Chemnitz gebe es eine organisierte rechtsextreme Szene und „das klassische Pegida-Mitläufertum", unterstützt durch die Hooligan-Szene.

Teil der regionalen gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene seien „aus dem Umfeld des lokalen Fußballvereins agierende, feste rechtsextremistische Hooligan-Strukturen", wie etwa die „NS-Boys" oder die Gruppe „Kaotik Chemnitz". Der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl lässt die Sondereinheit „Zentralstelle Extremismus Sachsen" ermitteln.

Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse gegen ausländische Mitbürger als gerechtfertigte Selbstjustiz beklatsche, zeige, „dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht", so SPD-Innenexperte Burkhard Lischka, der damit auf die AfD anspielt. Ihr Bundestagsabgeordneter Markus Frohnmaier hatte auf Twitter geschrieben: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!"

Maas warnt vor "Gefährdung" des Zusammenhalts

Außenminister Heiko Maas rief zur Verteidigung demokratischer Werte in der sächsischen Stadt und international auf. „Rechtsextremismus ist nicht nur eine Bedrohung von Menschen anderer Herkunft, sondern eine Gefährdung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaften", sagte der SPD-Politiker. „Wir müssen alles tun, um Menschenwürde, Demokratie und Freiheit zu verteidigen, nicht nur in Chemnitz, sondern überall auf der Welt."

Auch Kurz verurteilt Ausschreitungen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat die gewalttätigen Vorfälle in Chemnitz verurteilt. "Ich bin erschrocken über die neonazistischen Ausschreitungen in #Chemnitz", schrieb der Chef der konservativen ÖVP am Dienstag auf Twitter. "Vorfälle wie diese sind auf das Schärfste zu verurteilen!".