TT-Interview

Günther Oettinger: „Europäisch investiert ist besser“

Günther Oettinger ist seit Anfang 2017 EU-Kommissar für Haushalt und Personal.
© Rudy De Moor

Der EU-Finanzkommissar zur Frage, warum Europa mehr Geld braucht und bis wann das paktiert sein soll.

Alpbach – Die Europäische Union verhandelt derzeit über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027. Dieser legt fest, wie sich die EU finanziert und wofür sie wie viel ausgibt. Die Kommission, das Parlament und einige Mitglieder wollen das Budget erhöhen, andere bremsen. Die TT sprach darüber am Rande der Politischen Gespräche in Alpbach mit EU-Finanzkommissar Günther Oettinger.

Herr Kommissar, braucht Europa mehr Geld?

Günther Oettinger: Wir brauchen nur die Einnahmen, die wir zur Finanzierung unserer Aufgaben und zur Realisierung unserer Projekte benötigen. Die einzige Ebene, die seit ihrer Gründung keine Schulden gemacht hat, die ein umfassendes Schuldenverbot hat, ist die europäische Ebene. Wir haben traditionelle Aufgaben – etwa die Landwirtschaftspolitik, die Kohäsionspolitik und Verkehrsinfrastruktur. Dazu kommen neue Aufgaben wie Schutz der EU-Außengrenzen, Migration, Sicherheit. Und gleichzeitig verlieren wir mit Großbritannien einen Nettozahler.

Was kostet es uns, dass die Briten austreten?

Oettinger: Die Briten sind fair und stehen zu den eingegangenen Verpflichtungen. Sie sind bereit, auch ihre Verpflichtungen für den Haushaltsrahmen bis Ende 2020 zu erfüllen. Nach 2020 haben wir jedoch in jedem Fall strukturell eine Haushaltslücke von 12 bis 14 Mrd. Euro. Und die müssen wir ausgleichen durch Kürzungen und auch durch etwas erhöhte Einzahlungen, um nicht einen Kahlschlag bei wichtigen Programmen zu betreiben.

Das heißt, die einzelnen EU-Mitgliedsländer sollen mehr einzahlen...

Oettinger: Sie sollen mit maßvoll höheren Beiträgen helfen, unsere europäischen Aufgaben finanzieren. Ein europäischer Bürger, der 100 Euro verdient, bekommt im Schnitt 50 Euro davon weggenommen in Form von Abgaben und Steuern und Gebühren und Beiträgen. Davon geht jetzt ein Euro nach Europa. Bleiben 49 Euro in Berlin, Wien, Innsbruck, Stuttgart, Alpbach und Biberach. Ich finde, dass Europa wichtiger ist als nur ein Euro von 50 Euro. Dieser eine Euro soll außerdem den Mehrwert finanzieren helfen, den Europa bieten kann.

Jetzt haben ausgerechnet die Österreicher den EU-Vorsitz, die ja in der Budgetdebatte zu den Knauserern gehören. Ist das ein Problem?

Oettinger: Wir haben eine hoch kompetente Verwaltung in Österreich. Und auch eine Regierung, die bereit ist, dieses Zeitfenster zu nützen. Denn wir stehen vor einer Europawahl, und die Agenda ist voll. Deswegen haben wir als Kommission große Erwartungen an die Ratspräsidentschaft und auch an den Verlauf bis Weihnachten. Ich kann als Ausgangspunkt einer Verhandlung verstehen, dass die, die sich als so genannte Nettozahler sehen, beim Thema Haushalt Europas zurückhaltend sind. Aber klar ist, ich brauche die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten. Das macht es so schwierig. Und wenn wir keinen Haushaltsrahmen hinbekommen, wären die Gewinner die Präsidenten in Ankara, Moskau und im Weißen Haus in Washington DC.

Warum das?

Oettinger: Dann würden die sagen können: Diese Europäische Union ist nicht handlungsfähig. Und dann würde ihr Spiel, die Europäische Union zu schwächen oder gar divide et impera (teile und herrsche) zu spielen, aufgehen. Die Handlungsfähigkeit Europas muss bewiesen werden – beim Thema Migration, beim Thema Wettbewerbsfähigkeit, beim Thema der Freizügigkeit, beim Haushaltsthema. Es geht hier um die Glaubwürdigkeit des europäischen Projekts.

Sie haben von Weihnachten gesprochen. Wollen Sie den Finanzrahmen bis dahin ausverhandelt haben?

Oettinger: Ende Mai nächsten Jahres ist EU-Parlamentswahl, ab Ostern ist das Parlament im Wahlkampfmodus. Deshalb bleibt 2019 nur ein Vierteljahr. Ich glaube nicht, dass wir bis Weihnachten fertig werden. Aber wir brauchen große Fortschritte bis Weihnachten, auf die dann die rumänische Präsidentschaft aufbauen kann.

In immer mehr EU-Staaten gewinnen europaskeptische Kräfte an Einfluss. Wie erklären Sie denen, dass Sie mehr Europa wollen – und das auch mehr Geld kostet?

Oettinger: Es geht nicht um „mehr Europa“ als Prinzip. Es geht darum, dass wir gemeinsame Herausforderungen besser, effizienter und kostengünstiger meistern können, als jeder Staat für sich alleine. Und es uns allen am Ende wirtschaftlich besser geht. Nehmen wir einmal ein Land wie Polen mit einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung. Für die ist ein Projekt, das wir in der Forschung finanzieren, wichtig. Nehmen Sie einmal neue Mitgliedstaaten wie Rumänien und Bulgarien, für die ist die Kohäsionspolitik wichtig, damit sie an den europäischen Durchschnitt der Wertschöpfung herankommen. Oder ein Supercomputer, den kein Mitgliedsland und keine Firma alleine finanzieren kann, wir aber für Big Data und die Forschung brauchen. Aber dann kann ich auch erwarten, dass umgekehrt die Mitgliedstaaten mir das Geld geben, um den Mehrwert im Interesse der Steuerzahler zu erhöhen.

Sollen die EU-Mittel auch an Standards gebunden werden, etwa in der Justiz, oder an die Umsetzung von EU-Vereinbarungen?

Zur Person

Günther Oettinger ist seit Anfang 2017 EU-Kommissar für Haushalt und Personal. Davor war der CDU-Politiker u. a. Digitalkommissar, Energiekommissar und Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Der gebürtige Stuttgarter hat auch als Rechtsanwalt gearbeitet.

Oettinger: Das haben wir gründlich geprüft, und wir haben für ein zentrales Thema einen Vorschlag gemacht: die Rechtsstaatlichkeit. Warum? Wenn wir aus dem europäischen Haushalt Projekte finanzieren, kann es bei der Umsetzung zu Streit kommen, der vor Ort vor Gericht ausgetragen wird. Deswegen muss ich im Interesse der europäischen Steuerzahler und aller Europäer eine Garantie haben, dass die Gerichte in den Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen unabhängig sind und keine Befehlsempfänger einer Regierung. Rechtsstaatlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung, dass ich glaubwürdig Geld des europäischen Haushalts ausgeben kann.

Aber es gibt den Einwand, dass man europaskeptische Kräfte noch stärken würde, wenn man Geld vorenthält. Dann könnte etwa die polnische Regierung mit dem Finger auf Brüssel zeigen.

Oettinger: Brüssel ist daran interessiert, den Haushalt zu realisieren, und in Polen sind die größten Nutznießer unserer Programme. Aber es gibt eben ein Primärrecht, den Vertrag von Lissabon, und in dem steht die Rechtsstaatlichkeit drin. Und alle diese Staaten sind beigetreten im Wissen um diesen Grundwert. Deswegen ist es unsere Pflicht sicherzustellen, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt, und kein Geld auszugeben, wenn man Sorge haben muss, dass es zu Unrecht eingesetzt wird. Ich glaube, wenn wir dies dem Bürger erklären, wird er es nicht nur akzeptieren, sondern sogar massiv unterstützen.

Vorige Woche hat der italienische Vizepremier gedroht, die Zahlungen einzustellen, wenn es keine Lösung gibt bei der Umverteilung von Flüchtlingen.

Oettinger: Wir wissen um die starken Anstrengungen, die Italien seit Jahren in Sachen Flüchtlinge unternimmt. Und wir tun alles, um Italien dabei finanziell zu unterstützen. Zur Entlastung Italiens haben wir in den letzten Wochen in konkreten Einzelfällen viel gemacht und Flüchtlinge in andere Mitgliedstaaten vermittelt. Aber auf ihre Frage konkret genügt ein Blick in das Vertragsrecht. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Beiträge, die sie mitbeschlossen haben, auch leisten. Und sie sollten dann in der Debatte auch die richtigen Zahlen verwenden. Italien ist maximal für drei Milliarden Euro noch Nettozahler, nicht für 20 Milliarden.

Seit Jahrzehnten wird über eine EU-Steuer debattiert. Warum enthält Ihr Vorschlag keine solche Steuer?

Oettinger: Doch. Wir haben für neue Eigenmittel Vorschläge gemacht, die für diese sieben Jahre im Durchschnitt immerhin zwölf Prozent unserer Einnahmen bedeuten. Zum Beispiel beim Emissionshandel. Wir haben für wichtige Bereiche der Industrie CO2-Emissionsrechte, die man an der Börse handeln und kaufen kann. Das ist eine europäische Gesetzgebung, die europäische Klimaziele realisieren hilft. Aber das Geld geht zur Gänze in die nationalen Kassen. Davon würden wir, weil es europäisches Recht ist, gerne einen Teil dem europäischen Haushalt überantworten.

Oder das neue Umweltproblem Plastikabfälle. Wir wissen, welcher Mitgliedstaat wieviel davon produziert. Deswegen würden wir gerne einen Centbetrag pro Kilo einheben, um einen Anreiz zu schaffen, Plastikabfäll zu reduzieren oder die Recyclingquote zu erhöhen. Wie der Mitgliedstaat aber zu diesen Einnahmen kommt, bleibt ihm überlassen.

Und das soll noch vor der EU-Wahl paktiert sein?

Oettinger: Es wäre im Interesse aller Beteiligten – Forscher, Landwirte, Kommunen usw. – die Entscheidung bis Ostern nächsten Jahres zu haben. Die Bundesländer Österreichs und alle Regionen brauchen Klarheit, und die können wir ihnen geben, wenn Rat und Parlament dazu bereit sind.

Das Gespräch führte Floo Weißmann

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