Petritsch: Kosovo-Teilung Chance für mehr Sicherheit am Balkan
Wien (APA) - Nachdem der ehemalige österreichische Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch jahrelang Grenzverschiebungen zwischen Serbien und Kos...
Wien (APA) - Nachdem der ehemalige österreichische Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch jahrelang Grenzverschiebungen zwischen Serbien und Kosovo abgelehnt hatte, zeigt er nun Verständnis für einen derzeit von Belgrad und Prishtina verhandelten Gebietsabtausch. Im Gespräch mit der APA begründete er seinen Meinungswandel mit veränderten Gegebenheiten und einem Zeitfenster, das derzeit eine Lösung ermögliche.
„Es kommt am Balkan nicht sehr oft vor, dass zwei Politiker mit einem gemeinsamen Problem sagen: ‚Das wollen wir lösen.‘“, erklärte Petritsch am Dienstag mit Hinblick auf den kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci und seinen Amtskollegen Aleksandar Vucic, die derzeit über eine Normalisierung der Beziehungen ihrer Länder verhandeln.
Die diskutierte Option eines Gebietsabtausches zwischen Kosovo und Serbien nach ethnischen Kriterien entspringe zwar dem Geist des späten neunzehnten Jahrhunderts, ein solcher Schritt sei ihm absolut unsympathisch und er habe damit auch emotionale Probleme. „Aber es gibt eine übergeordnete Frage: Bekommen wir damit mehr oder weniger Sicherheit? Ich denke - mehr“, erklärte er. Zudem würde dies in Hinblick auf Serbien als größten Staat in der Region, der immer eine wichtige Rolle bei den Nachbarn gespielt habe, zu einer Absicherung führen.
Belgrad und Prishtina hätten zudem klare Motive: „Für Serbien ist eine Einigung mit dem Kosovo eine Voraussetzung für den EU-Beitritt und dem Kosovo bringt das den UNO-Beitritt, der den Kosovo zu einem vollwertigen Staat macht“, erklärte er.
Die Verhandlungen zwischen Thaci und Vucic befänden sich derzeit in einer kritischen Phase, konstatierte der Diplomat, der mit beiden Präsidenten in Kontakt steht und sie am Wochenende im Tiroler Alpbach auch getroffen hat. Bis zu den Wahlen zum EU-Parlament im Frühjahr 2019 und dem Rücktritt der EU-Kommission gebe es ein Zeitfenster, in dem eine Einigung erzielt werden könnte. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wolle am Ende ihrer Funktionszeit etwas Positives vorlegen, auch die USA, Frankreich und Russland würden Zustimmung signalisieren, schilderte er.
Seit 2014 berät der langjährige Diplomat in außenpolitischen Fragen auch die Wiener Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger und Partner (LGP), die ihrerseits die serbische Regierung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in europarechtlichen Fragen unterstützt. „Einerseits geht es um die EU Beitrittsverhandlungen, andererseits um die Lösung des letzten großen historischen Konfliktes. Natürlich hängen die beiden Teile zusammen, aber es wird eine Win-win-Situation geben oder eben keine“, betonte Petritsch. Da beide Seiten (Kosovo und Serbien, Anm.) eine Lösung anstrebten und ein gemeinsames Ziel verfolgten, sehe er und auch die Betroffenen hier keine Inkompatibilität, erklärte er zur Frage eines etwaigen Interessenskonflikts seinerseits.
Die Abkehr von seiner bisherigen Ablehnung derartiger Grenzverschiebungen begründet Petritsch im Detail mit veränderten Gegebenheiten. So habe etwa die politische Verfügungsmacht Europas in der Region abgenommen: „Der Balkan ist nicht mehr allein ein amerikanisches und europäisches Projekt, China, Russland, die Türkei und die Golfstaaten sind sehr aktiv und werden immer aktiver“, sagte er. Angesichts einer Renationalisierung in Polen, Ungarn, aber auch in Österreich und Deutschland hätten Argumente, dass Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien demokratischer werden sollten, an Überzeugungskraft verloren. Zudem sei deutlich geworden, dass „ethnonationalistische Gene“ so stark seien, dass sie noch für viele Generationen eine Rolle spielen würden.
Da es seit 1999 eine Konsolidierung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens gegeben habe, schließt Petritsch den Ausbruch bewaffneter Konflikte aus. „Ich bin überzeugt, dass man heute die Menschen nicht mehr für einen Krieg begeistern kann, weder im Kosovo, noch in Serbien oder Bosnien“, sagte er. Zudem gebe es bei Bedarf die Möglichkeit, rasch internationale Truppen zu verlegen.
Der ehemalige Spitzendiplomat mit langjähriger Erfahrung am Balkan denkt auch nicht, dass mit einem Gebietsabtausch nunmehr eine Büchse der Pandora geöffnet würde. Dies sei bereits mit der Zerstörung Jugoslawiens und ethnischen Säuberungen geschehen, damit könne man heute aber besser umgehen, erläuterte er.
Insbesondere hätten ihn aber die Erfahrungen in Bosnien überzeugt, dass jede lokale Lösung einer oktroyierten, von außen aufgezwungenen Lösung vorzuziehen sei, da die Verantwortlichen dann persönlich und politisch auch für das Gelingen verantwortlich seien, betonte Petritsch. Nach einem Vierteljahrhundert habe sich die Situation in Bosnien nicht gravierend verbessert. „Die Dreiteilung besteht darin, dass die serbischen und kroatischen Nationalisten Milorad Dodik (Präsident der Republika Srpska, Anm.) und Dragan Covic (kroatisches Mitglied im Staatspräsidium, Anm.) zum Nachteil des Gesamtstaates zusammenarbeiten und dass die muslimische Mehrheit sich an die Türkei anlehnt und von der Türkei instrumentalisiert wird. Es gibt drei Herzogtümer, die alle auf den Gesamtstaat pfeifen“, sagte Petritsch, der von 1999 bis 2002 vor Ort die internationale Staatengemeinschaft als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina vertreten hatte.
Gleichzeitig sieht Petritsch einen etwaigen Gebietsabtausch zwischen Kosovo und Serbien nicht als Präzedenzfall für Grenzverschiebungen in Bosnien sowie im postsowjetischen Raum. Das absolute Kriterium für einen Austausch von Territorium sei das Vorhandensein eines transparenten Konsenses, der von demokratisch legitimierten Vertretern verhandelt wurde, sagte er. „Dodik etwa findet keinen Partner in Bosnien, mit dem er das machen könnte“, erklärte er.
Für den Fall einer Einigung zwischen Serbien und Kosovo schlägt Petritsch eine internationale Deklaration mit allen Beteiligten vor, in der auch weitere Grenzfragen in der Region angesprochen werden sollten. Obwohl es ein Schiedsgerichtsverfahren gegeben habe, bestünden weiterhin ungelöste Fragen zwischen Slowenien und Kroatien. „Ich habe Kroatiens Position nie verstanden: Das Land hat 1.800 Küstenkilometer, Slowenien hingegen nur 50. Ich hätte von Anfang an gesagt: Liebe slowenische Nachbarn - der Weg ist für euch frei“, sagte er. Obwohl nicht darüber gesprochen werde, habe das ethnische Prinzip im Schiedsverfahren eine Rolle gespielt, erinnerte er. Von Kroaten besiedelte Dörfer in Slowenien sollen an Kroatien fallen, erklärte er.
Der SPÖ-nahe Diplomat bedauerte, dass sich Österreich für seine EU-Ratspräsidentschaft nicht schon früher mit den nun laufenden Kosovo-Verhandlungen beschäftigt hat. Er schlägt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft eine diesbezügliche Abschlussdeklaration vor, aber auch Bemühungen zur Umsetzung von Visafreiheit für den Kosovo und die Schaffung eines „Balkan-Marshallplans“, der die wirtschaftliche Entwicklung in der Region fördern würde. „100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg würde einer österreichischen EU-Ratspräsidentschaft gut anstehen, das Schließen dieses Konfliktbogens zu verkünden.“