Körper, Schmerz und Sprache: Ally Kleins Roman „Carter“
Wien (APA) - Beim Wettlesen um den Bachmann-Preis schaffte es die 1984 geborene Berlinerin Ally Klein mit einem Text um eine geheimnisvolle ...
Wien (APA) - Beim Wettlesen um den Bachmann-Preis schaffte es die 1984 geborene Berlinerin Ally Klein mit einem Text um eine geheimnisvolle Frauenfigur auf die Shortlist und ging am Ende doch leer aus. Nun ist der ganze Roman erschienen. „Carter“ ist ein kraftvolles literarisches Debüt von großer Eigenwilligkeit. Ally Klein konzentriert sich ganz darauf, Körperlichkeit einen genauen Ausdruck zu verleihen.
Worum es in „Carter“ eigentlich geht, lässt sich auch nach über 200 Seiten kaum sagen. Sicher ist, dass die Titelfigur eine Frau mit großer Faszination auf ihre Umgebung, aber unstetem Lebenswandel und wechselndem Wohnsitz ist. In der Clique von Menschen, die lose um eine Hafenbar kreisen und Liop, Pé oder Kaan heißen, befindet sich auch die Ich-Erzählerin. Sie wird von Carter in den Bann geschlagen, kommt aber nie recht an sie heran. Das Buch ist eine ständige Wechselbewegung von Treiben und getrieben Werden, Anziehung und Abstoßung. Alles steht ständig an der Kippe, doch nichts geht voran. Gleichzeitig ist es eine Erinnerung - denn Carter wurde tot im Wald gefunden, von Tieren bereits entstellt.
Was „Carter“ zu einem seltenen Ereignis macht, zu einem Text, der immer wieder frappiert und irritiert, ist seine scheinbare Absichtslosigkeit herkömmlicher Narration gegenüber, bei gleichzeitigem Ehrgeiz, Körpererfahrungen mit größter Bildhaftigkeit und Präzision wiederzugeben. Ununterbrochen wird in diesem Buch geschlagen und gelitten, gefroren und gehungert, ohne dass man wüsste, warum. Und doch wird alleine durch Ally Kleins Formulierungen eine Dringlichkeit, eine Sogwirkung erzeugt, die geradezu wehtut, die einen beim Lesen mitleiden lässt. Durch Aufhebung klassischer Kausalitäten wird aber auch herkömmliche Empathie außer Kraft gesetzt. Es geht nicht um die Figuren. Es geht um ihren Schmerz, der durch die Sprache zu einer sich vermittelnden Erfahrung wird.
„Der Nachhall unerträglicher als der Schlag selbst, er hatte mich taub gemacht, taub für alles. Die Zunge pelzig, ließ ich die Kinnlade herunterfallen, ich streckte die Zunge heraus, nicht weit, damit sie mir nicht ganz herausrutschte und auf die Erde klatschte, wie ein toter Wal auf die Erde klatschte, sondern nur zur Hälfte, auf die Unterlippe abgelegt.“ Es sind Sätze wie diese, die die Juroren in Klagenfurt entzweiten - vom Lob ihrer „physischen Dringlichkeit“ bis zu „vollkommen unterdeterminiert“ lauteten die Urteile. Man kann an „Carter“ durchaus seine Hermetik kritisieren, seine Konzentration auf ein einziges Motiv, das immer wieder durchgearbeitet wird, doch in seiner Konsequenz und seinen sprachlichen Mitteln ist „Carter“ außergewöhnlich. Literatur als Wagnis - Ally Klein zeigt, wie das geht.
(S E R V I C E - Ally Klein: „Carter“, Literaturverlag Droschl, 208 S., 20 Euro, ISBN 978-3-99059-017-1, Lesung am 8. Oktober, 19 Uhr, in der Alten Schmiede in Wien.)