Literatur

Lebemänner, die langsam verglühen

Wolf Wondratschek wurde am 14. August 75 Jahre alt.
© Dieter Roeseler/picturedesk.com

„Selbstbild mit russischem Klavier“: Der einstige Box-Poet und Prosa-Rebell Wolf Wondratschek kommt wortgewandt ins Plaudern.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –Wolf Wondratscheks neuen Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“ kann man für die vergleichsweise überschaubare Summe von rund 23 Euro käuflich erwerben.

Das war zuletzt anders. Das Manuskript seines Romans, „Selbstbild mit Ratte“, bleibt für die Öffentlichkeit unter Verschluss. Wondratschek verkaufte es 2015 für 40.000 Euro an einen Wiener Unternehmer, der sich zwei Jahre später auch dazu entschied, einen „Alternativen Büchnerpreis“ zu stiften. Erster und bis auf Weiteres einziger Preisträger der mit 50.000 Euro dotierten Auszeichnung: Wolf Wondratschek.

Mit dem etablierten Literaturbetrieb, mit Verlegern, Akademien und Juroren hat Wolf Wondratschek schon davor immer wieder gehadert. Von Daniel Kehl, dem legendären Chef des Züricher Diogenes-Verlags, soll Wondratschek einst für sein Gedicht „Carmen“ kein Honorar in gängiger Währung, sondern einen Koffer Gold verlangt haben. Selbst wenn die Anekdote bloß gut erfunden ist, sie passt gut ins Bild, das jahrzehntelang von Wondratschek gezeichnet wurde: der lebensgierige Lyriker, Box-Poet, Marlboro-Rilke, der harte Knochen, der keine Erzählungen, sondern „Storys“ schrieb, ohne Mätzchen, hart, direkt. „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde.“ So hieß 1969 Wondratscheks erster Prosaband, der ihn schlagartig berühmt – und einigermaßen berüchtigt – machte.

Seit Ende der 1990er-Jahre lebt Wolf Wondratschek in Wien. Dort hat er vor wenigen Wochen seinen 75. Geburtstag gefeiert – und dort, in Wiener Kaffeehäusern und Restaurants, vornehmlich italienischen, spielt auch sein neuer Roman. Ein namenloser Erzähler – man möchte darin, wenn schon nicht Wondratschek selbst, so doch ein Alter Ego erkennen – und ein einst gefeierter russischer Pianist, Suvorin, treffen zufällig aufeinander und kommen ins Gespräch. In launigem Parlando gleiten die Zeiten und Geschichten ineinander, Anekdotisches weitet sich zur Tragödie, Tragisches verkümmert zu bitteren Pointen. Nicht alles darf man glauben. Von manchem will man hoffen, dass es einen wahren Kern hat. Weitere Treffen folgen, das Gespräch geht in die Tiefe – und etwas in die Breite.

Letztlich ist es vor allem Suvorin, der erzählt, der sich an Etappen seines Lebens erinnert, sie gegenwärtig werden lässt. Es geht um Karrieren, die abrupt beendet wurden, weil Applaus zur Verhöhnung weniger des Künstlers als des Werks wurde, um Trauer und Verlust, um Sehnsucht und ums Altern, um Lebemänner, die langsam verglühen. Und es geht um Musik. Und es geht um Musiker, um Künstler, die ihre Arbeit ernst nehmen, die wissen, dass Musik kein Geschwätz verträgt, keine Klugscheißerei. Um den 2016 verstorbenen Cellisten Heinrich Schiff zum Beispiel, der einen wunderbar anrührenden Auftritt hat. Wondratschek hat Schiff und dessen Stradivari-Cello bereits den Text „Mara“ (2003) gewidmet. In „Selbstbild mit russischem Klavier“ lässt er ihn mit professionellem Pragmatismus über Suvorins eigentümlich romantische Kunstphilosophie lächeln. „Warum schrieb Cello-Liebhaber Beethoven nie ein Cello-Konzert?“, fragt Suvorin. Und gibt sich selbst die für ihn gültige Antwort: „Wahre Liebe war Verzicht.“ Wie gesagt: Nicht alles darf, nicht alles muss man glauben.

„Selbstbild mit russischem Klavier“ geht alle Kraftmeierei ab, es ist eine nachdenkliche, bisweilen elegische Plauderei.

Neben seinem neuen Roman ist dieser Tage im Ullstein-Verlag auch eine 13-bändige Ausgabe von Wondratscheks „Gesammelten Gedichten“ erschienen. Eine Gesamtausgabe ist in Planung. Der Literaturrebell, so scheint es, ist im Alter nicht nur milder geworden, er ist auch auf dem besten Weg – spät, aber doch –, im Kanon anzukommen. Verdient hat er es sich schon lange. Ganz ohne spendierfreudigen Mäzen.

Roman Wolf Wondratschek: Selbstbild mit russischem Klavier. Ullstein, 270 Seiten, 22.70 Euro.

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