Chemnitz-Demos: Lage vor weiterer rechter Kundgebung ruhig
Chemnitz (APA/AFP) - Vor einer für Donnerstagabend angekündigten neuen Demonstration von Rechtspopulisten in Chemnitz ist die Lage in der St...
Chemnitz (APA/AFP) - Vor einer für Donnerstagabend angekündigten neuen Demonstration von Rechtspopulisten in Chemnitz ist die Lage in der Stadt zunächst ruhig geblieben. Nach den Vorfällen der vergangenen Tage sei es in der Nacht zu keinen Straftaten gekommen, die mit den Ausschreitungen der vergangenen Tage im Zusammenhang stünden, sagte ein Polizeisprecher.
Der für 18.00 Uhr angekündigte Protestzug der rechtspopulistischen Bewegung Pro Chemnitz sollte zeitgleich mit einem ebenfalls für den Abend geplanten Bürgergespräch mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) stattfinden. In der Stadt war am Sonntag ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden - ein Iraker und ein Syrer sitzen derzeit als Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Anschließend zogen bei Demonstrationen überwiegend rechte Demonstranten durch die Stadt und hetzten gegen Ausländer, einige wurden sogar angegriffen.
Unterdessen laufen die Ermittlungen der Behörden zu der Frage, wie ein Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen ins Internet gelangen konnte. Das teilweise geschwärzte Dokument war zuletzt unter anderem auf Internetseiten der rechtspopulistischen Gruppe Pro Chemnitz, eines Kreisverbandes der AfD sowie des Pegida-Gründers Lutz Bachmann verbreitet.
Nach der rechtswidrigen Veröffentlichung geht die Staatsanwaltschaft Bremen gegen den Bürgerschaftsabgeordneten Jan Timke vor. Er stehe im Verdacht, den Haftbefehl auf Facebook weiterverbreitet zu haben. „Wir haben einen Hinweis bekommen“, sagte Oberstaatsanwalt Frank Passade. Timke ist Bundespolizist und Mitglied der rechten Wählervereinigung Bürger in Wut. Sein Dienstverhältnis bei der Bundespolizei ruht, solange er in der Bürgerschaft sitzt.
Die Ermittler durchsuchten nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits am Mittwoch die Wohnung des Mannes in Bremerhaven. Darüber hatte zunächst Radio Bremen berichtet. Timke habe den Haftbefehl inzwischen von seiner Facebook-Seite entfernt, sagte Passade. Timke selbst war auf dpa-Anfrage für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Er kündigte aber auf seiner Facebook-Seite an, sich noch am Donnerstag zu den Vorwürfen äußern zu wollen.
Nach Paragraf 353d des Strafgesetzbuches kann mit bis zu einem Jahr Haft oder einer Geldzahlung bestraft werden, wer amtliche Dokumente eines Gerichtsverfahrens - wie einen Haftbefehl - veröffentlicht, „bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“.
Kretschmer versprach am Donnerstag volle Aufklärung nach der Veröffentlichung des Haftbefehls. „Diese Veröffentlichung ist schändlich, und sie ist strafbewehrt“, sagt er während eines Schulbesuchs in Chemnitz. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren, die Verantwortlichen würden zur Verantwortung gezogen. „Das werden wir bald auch sehen.“
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, rief angesichts der jüngsten Übergriffe zu Zivilcourage auf. Chemnitz mit seiner auch von internationalen Studenten besuchten Universität sei eine weltoffene Stadt. „Dass es da jetzt welche gibt, die das kaputt machen wollen, diese Weltoffenheit, dagegen müssen alle aufstehen“, sagte er bei Bayern 2. Aus den Reihen der AfD werde gehetzt, sagte er.
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, kommentierte, Auschwitz-Überlebende in aller Welt empfänden „die rechtsextremen Entwicklungen in Chemnitz als dramatisch“. Mit wachsender Sorge beobachteten die Überlebenden des Holocausts den Versuch rechtsextremer Gruppierungen, die Macht der Straße an sich zu reißen und den Hass in die Städte zu tragen.
Chemnitz bekommt am Montag ein Konzert gegen Rechts unter dem Motto „#wirsindmehr“. Dann wollen ab 17.00 Uhr auf dem Platz vor dem Karl-Marx-Monument Die Toten Hosen, die Rapper Marteria & Casper, K.I.Z, Feine Sahne Fischfilet sowie die Lokalmatadoren Kraftklub und Trettmann auf. Das Open-Air-Konzert aus der Reihe „Rock am Kopp“ ist für Besucher kostenlos. Wie die zuständige PR-Agentur mitteilte, schlossen sich die Künstler als eine Reaktion auf die „besorgniserregenden Entwicklungen“ in Chemnitz in den vergangenen Tagen auf Initiative von Kraftklub für das Konzert zusammen. „All den Menschen, die von den Neonazis angegriffen wurden, wollen wir zeigen, dass sie nicht alleine sind“, hieß es in einem gemeinsamen Statement der Musiker. Binnen weniger Stunden nach Bekanntwerden des Auftritts signalisierten bei Facebook bereits Tausende ihre Teilnahme.
Unterdessen wurde bekannt, dass der Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts (LKA), der bei einer AfD- und Pegida-Demonstration in Dresden Mitte August Journalisten bepöbelte, den Polizeidienst des Freistaats verlässt. Wie das LKA am Donnerstag in Dresden mitteilte, wird er „mit seiner Zustimmung bis auf Weiteres eine andere, adäquate Tätigkeit außerhalb der Polizei Sachsen wahrnehmen“. Der Wechsel werde zum kommenden Montag wirksam.
Es habe ein Gespräch mit dem Mann und seinem Anwalt gegeben, in dem der Mitarbeiter Gelegenheit gehabt habe, „seine Sicht auf den Sachverhalt darzustellen“, erklärte das LKA. Weitere Angaben seien aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Der Mann war bislang Tarifangestellter im LKA und hatte dort Medienberichten zufolge im Dezernat für Wirtschaftskriminalität Zugriff auf sensible Ermittlungsdaten.
Der LKA-Mann war während eines Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 16. August in Dresden privat zu einer Kundgebung von Anhängern der AfD und der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung unterwegs. Dabei griff er ein ZDF-Kamerateam verbal an. Die Journalisten wurden anschließend etwa eine Dreiviertelstunde lang von der Polizei festgehalten. Dem Vorfall folgte eine Debatte über die Pressefreiheit, die Polizei entschuldigte sich beim ZDF.