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Ausnahmezustand in Chemnitz: Verletzte und Straftaten bei Demos

Gegendemos fanden unter dem Motto "Herz statt Hetze" statt.
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Bei den Demonstrationen in Chemnitz sind nach einer Bilanz der deutschen Polizei 18 Menschen verletzt worden. Zudem wurden mindestens 37 Straftaten verzeichnet.

Chemnitz/Berlin – Bei den jüngsten Protesten in der ostdeutschen Stadt Chemnitz mit Tausenden Teilnehmern verschiedener Lager sind am Samstag nach neuen Angaben mindestens 18 Menschen verletzt worden. Unter ihnen seien drei Polizeibeamte, teilte die Polizei Sachsen am Sonntag mit. Sie korrigierte auch die Zahl der Teilnehmer an den Demonstrationen in der Stadt deutlich auf mehr als 11.000 nach oben.

Eine Großkundgebung unter dem Motto „Herz statt Hetze“ richtete sich gegen Fremdenfeindlichkeit, eine große AfD-Kundgebung machte gegen Migration mobil. Die Kundgebungen lösten sich am Abend auf.

An der von einem breiten Bündnis getragenen Großdemo unter dem Motto „Herz statt Hetze“ beteiligten sich einem Sprecher der Stadt Chemnitz Tausende Menschen. An der Kundgebung nahmen am Samstagnachmittag auch mehrere Spitzenpolitiker wie SPD-Vizechefin Manuela Schwesig, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock teil.

Tausende protestierten friedlich.
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Angriffe und Störaktionen

Eine Besuchergruppe um den SPD-Bundestagsabgeordneten Sören Bartol wurde nach seinen Angaben am Abend von Rechtsradikalen überfallen. „Meine Gruppe aus Marburg wurde gerade auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen“, schrieb Bartol auf Twitter. Alle SPD-Fahnen seien „zerstört“ worden, einige seiner Begleiter seien „sogar körperlich angegriffen“ worden. Er fügte hinzu: „Ich bin entsetzt“ und „Was ein Schock“.

Mehr als zwei Stunden nach Beginn der „Herz statt Hetze“-Demonstration versammelten sich mehrere tausend Menschen zu der AfD-Kundgebung. Auch Teilnehmer einer Demonstration der rechten Organisation Pro Chemnitz schlossen sich an, nachdem die Organisatoren diese für beendet erklärt hatten. Laut dem Sprecher der Stadt beteiligten sich rund 4500 Menschen.

Die Polizei versuchte mit einem Großaufgebot, die Situation unter Kontrolle zu halten.
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AfD-Politiker aus mehreren Landesverbänden waren am Samstag in Chemnitz, darunter die AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz. Auch die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung schloss sich der Kundgebung an. In dem Aufruf zu dem so genannten Schweigemarsch hieß es, es solle „um die Toten und Opfer der illegalen Migrationspolitik“ in Deutschland getrauert werden.

Verletzte und Straftaten

In Chemnitz war vergangenes Wochenende ein 35-jähriger Deutscher getötet worden. Zwei Männer aus Syrien und dem Irak sitzen deswegen in Untersuchungshaft. Danach kam es zu Demonstrationen in der Stadt, an denen sich gewaltbereite Rechtsextreme beteiligten. Dabei gab es auch Angriffe auf Ausländer.

Die Polizei versuchte am Samstag mit einem Großaufgebot von rund 2000 Beamten, die Demonstrationen auseinanderzuhalten und erneute Ausschreitungen zu verhindern. Die Polizei meldete einige Rangeleien zwischen „Kleingruppen“ der verschiedenen Lager, die meisten Demonstranten seien aber friedlich gewesen.

Die AfD-Demonstranten wollten bei ihrem "Schweigemarsch" auf die Toten und Opfer der Migrationspolitik hinweisen.
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Insgesamt seien neun Menschen verletzt worden, teilte die Polizei am späten Abend mit. Zudem sei abseits der Demonstrationsorte ein 20-jähriger Afghane von vier Vermummten angegriffen und leicht verletzt worden. Die Polizei habe Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen. Es werde geprüft, ob es sich bei den Tätern um ehemalige Versammlungsteilnehmer handle.

AfD legt in Wählergunst zu

Laut Polizei gab es mindestens 25 Straftaten, darunter Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Auch sei ein MDR-Kamerateam in einer Privatwohnung angegriffen worden. Dabei sei ein Mitarbeiter des Teams verletzt worden.

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) forderte, Hetzern „unsere Stärke und unsere demokratische Grundüberzeugung mit aller Kraft“ entgegenzusetzen. Dass Chemnitz „weder grau noch braun“ sei, müsse jetzt in „Wort und Tat“ gezeigt werden.

Ein Bündnis von Bürgern, Unternehmen und Wissenschaftern aus Chemnitz hatte die Bewohner der Stadt unter dem Motto „Chemnitz ist weder grau noch braun“ zu mehr Engagement für ein friedliches Miteinander aufgerufen. In mehreren Tageszeitungen erschienen großformatige Anzeigen mit dem Aufruf. Zu den Unterzeichnern gehören zahlreiche in Chemnitz ansässige Firmen.

Chemnitz habe „seine guten Seiten und seine Probleme“, heißt es in dem Aufruf. Die Stadt könne aber nicht mit „Hass, Gewalt, Intoleranz und vor allem Wegschauen“ leben. Unterdessen zeigt eine neue Wahlumfrage vom Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag der Bild am Sonntag, dass die AfD nach den Zwischenfällen in der Wählergunst sogar zugenommen hat. Gegenüber der Vorwoche gewann die Partei einen Prozentpunkt dazu und steht damit bei 15 Prozent. (APA/AFP)