Musik

Die Gejagte wird zum Jäger

© maisie-cousins

Anna Calvis drittes Album „Hunter“ will klar sein, verstrickt sich aber in der Genderdebatte. Und verliert dabei den typischen Sound, der sie einzigartig macht.

Von Barbara Unterthurner

Innsbruck –Wer aktuell über Sophie Hunger spricht, darf Anna Calvi nicht vergessen. Beide Musikerinnen brachten vor Kurzem ihre neuen Alben heraus: Während die Schweizerin Hunger mit ihrem in die Clubszene Berlins abtaucht, arbeitet sich die Britin Anna Calvi mit ihrem neuen Longplayer „Hunter“ lieber noch ein wenig an den Grenzen der Rockmusik ab. Und vor allem an den für sie zu eng gewordenen Grenzen der Geschlechterrollen.

In dieser Hinsicht sind sich die beiden Musikerinnen ähnlich: Eine zarte Stimme heißt nicht gleich schwach. Beide Frauen zeigen sich auf der Bühne äußerst selbstbewusst. Calvi geht mit „Hunter“ nun noch einen Schritt weiter: Das Album ist sehr klar umrissen und schlägt in Zeiten von #MeToo in eine vorgefertigte Kerbe. Missverständnisse ausgeschlossen. Für alle, die nicht zuhören, hat Anna Calvi auch ein „Manifesto“ abgeliefert.

„This is a queer record“, postuliert Calvi darin. Es gehe dabei um das Ankämpfen dagegen, sich wie ein Außenseiter zu fühlen, und um das Finden eines Platzes, der sich nach Zuhause anfühlt. Indem sie mit dem Konzept von Maskulinität spielt, um ihre eigene Identität und Frausein im Allgemeinen zu erforschen. Leider leere Worthülsen und keine Lösungsansätze.

Ähnlich verfährt Calvi in den zehn Songs auf dem eben erschienenen Album „Hunter“. So spricht sie im Opener „As A Man“ davon, dass von einer mächtigen Frau (vermeintlich) männliche Eigenschaften wie Stärke erwartet werden. Die besungene Frau stellt sich vor, wie ein Mann zu agieren; bis zum Schluss bittet sie ihn, lieber ihr ähnlicher zu werden. Auch der dritte Titel „Don’t Beat the Girl out of My Boy“ will tough sein. In „Chain“ spielt sie ebenso Geschlechterrollen gegeneinander aus: „I’ll be the boy, you be the girl/I’ll be the girl, you be the boy.“ Natürlich bieten die feministischen Postulate, die Calvi formuliert, aktuell am meisten Gesprächsstoff. Dass die Überzeugung nicht von ungefähr kommt, klingt aber bereits im selbstbetitelten Debütalbum von 2011 an: „I’ll be Your Man“ ist ebenso klar.

Bereits dieses Debüt war eingeschlagen im so ausgegrasten Feld der Rockmusik. Egal ob tot oder lebendig, Calvi rückte mit cleanen Stratocaster-Klängen und eingängigen Riffs an, die sie sich von Großmeistern wie Jimi Hendrix abkupferte. Und überzeugte damit. Hendrix soll sie bereits als Mädchen für die Gitarre inspiriert haben, obwohl sie schon zwei Jahre Geige gelernt hatte. Klassische Elemente haben Calvis Musik aber immer beeinflusst, machten ihren Sound aus. Während das 2011er Album noch ruhig und bestimmt herüberkommt, gibt „One Breath“ von 2014 schon mehr Gas und liefert auch jene Synthie-Klänge, die sich auf „Hunter“ gemehrt haben.

Dieser Umbruch verdient mehr Zuwendung: „Hunter“ ist lauter, rauer als alles zuvor. Und auch nur noch den virtuosen, düsteren Rock streifend, für den Calvi bekannt wurde. Denn: Das neue Album will hymnische Stärke zeigen, wo kreative Zartheit überzeugen könnte. Nur an einigen Stellen, so etwa beim brüchigen „Away“ oder dem atmosphärischen „Swimming Pool“, kommt die alte Anna zutage – und das lässt das Album ausfransen. So als ob Calvi gespalten wäre, zwischen Tough-Sein und Verletzbarkeit. Eigentlich auch nur ein allzu menschlicher Zug. Aber für ein Album nicht klar, nicht selbstverständlich formuliert genug. Und das trotz beiliegenden Manifests.

Noir-Rock Anna Calvi: Hunter. Domino Records.