Wintersport

Hirscher am Pitztaler Gletscher: “Prioritäten verschieben sich“

Fünf Läufe, jeweils 48 Tore, das geht bei 3400 Metern Seehöhe ans Eingemachte. Marcel Hirscher ließ keine Müdigkeit erkennen.
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Ein früher Vogel war Marcel Hirscher beim Thema Saisonvorbereitung nie, den Wurm fing am Ende doch immer er. Der Salzburger Skistar carvte am Mittwoch am Pitztaler Gletscher durch 240 Tore – und war zufrieden.

Von Florian Madl

St. Leonhard — Marcel Hirscher war wie immer schneller als erwartet. Zehn Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt traf der Abtenauer gestern zum Mediengespräch in St. Leonhard ein, diesmal hatte der 29-Jährige nur fünf statt acht Durchgänge am Pitztaler Gletscher absolviert. „48 Tore pro Lauf, 1:10 Minuten Fahrzeit, das kann etwas. Wenn du auf 3400 Metern nicht über dich hinausgehst, schwingst du nach 15 Toren ab", blickte der Skistar auf den Morgen mit 240 absolvierten Toren zurück. Ein wenig gelassener wirkte der Salzburger, mit seinem Espresso in der Hand erinnerte der Perfektionist so überhaupt nicht an den Marcel Hirscher der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, als er zweimal Gold gewonnen hatte. Liegt es am Premiumprodukt seines Uhrensponsors, das mit einem Stressmanagement-Tracker wirbt und dazu Atemübungen vorschlägt?

„Ich verzichte auf Quantität. Ich fahre nicht nach Übersee, sondern bleibe zuhause. Ich fange später mit Schneetraining an und lehne mich damit weit aus dem Fenster", meint der siebenfache Gesamtweltcupsieger lapidar. Das klingt wie ein Kochrezept, in seiner Welt heißt das: „In Sachen Verbissenheit bin ich am absteigenden Ast, das kompensiere ich mit Qualität." Spricht da bereits der werdende Vater aus Marcel Hirscher? Ein schlechtes Thema für eine Interviewfrage. Über Kanten-Tuning oder Bindungsplatten könnte der Seriensieger lange referieren, zum Elementarereignis kommt ihm kein Wort über die Lippen.

Die „Präzision der Schwünge“ ist laut Herren-Chef Andreas Puelacher beeindruckend wie immer.
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Sechs Skitage hat er heuer erst in den Beinen, wenngleich der Pitztaler Gletscher hervorragende Bedingungen zu bieten hätte. Nein — wenn's um den Trainingsstart auf Schnee ging, war er nie der frühe Vogel, den Wurm fing er am Ende doch. Es muss für die Konkurrenz ein Affront sein, dass es der Held einer Ski-Nation trotzdem mit Humor nimmt: „Ich fahre laufend Bestzeiten!" Wen wundert's — den ersten Vergleich mit Kollegen gibt es kommende Woche. Dann wissen beide Seiten endlich, wo sie wirklich stehen. Laut Chefcoach Andreas Puelacher muss sich Hirscher jedenfalls „keine Sorgen machen".

Hirscher stapelt weiter tief, das kreidet man ihm ja bisweilen an. Sätze wie „Die Prioritäten verschieben sich" schmerzen jene, die nur eine Priorität kennen. Er habe „nicht mehr den innerlichen Stress" — den haben andere Teamkollegen sehr wohl. Aber die haben auch nicht seine „volle Vitrine" an Trophäen und Auszeichnungen: „Ich muss mich also nicht beweisen. Dass ich gut Ski fahren kann, hat mittlerweile jeder verstanden."

Klingt, als sei der Hirscher 7.0 (stellvertretend für seine sieben Weltcupsiege) ein Spaßskifahrer. Da widerspricht er heftig: „Manche sagen, dass es mit mehr Freude am Sport besser funktioniert. Bei mir funktioniert es so nicht, ich muss den inneren Killer aktivieren." Da war er wieder, der alte Hirscher, und es wirkte fast so, als wäre gerade sein Nerv getroffen worden: Noch mehr Intensität habe er ins Trockentraining eingestreut, Auslandsreisen hätten ohnehin schon ihren „Abenteuerfaktor" verloren. „Nach Amerika fahr' ich nur zum Arbeiten." Es ginge ihm ums Rennfahren, das Rundherum im Weltcup sei nie das Seine gewesen.

Niemals zufrieden, stets ein kritischer Geist: Seriensieger Hirscher.
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Das gilt wohl auch für die österreichische Sportlerwahl im Oktober, angesichts eines zweiten Platzes in der Vergangenheit ein Reizthema. Heuer? Hirscher bleibt wie bei vielen Themen an der Oberfläche: „Viele verdienen es sich. Gewinne ich nicht, tut das meinem Ego keinen Abbruch." Auch beim Thema Olympia-Bewerbung, das in Tirol und zuletzt in der Steiermark durchfiel, bleibt er stumm: „Ich kenne mich nicht aus. Alles, was ich dazu sagen würde, entspräche nicht der Wahrheit. Drum ist es gescheiter, ich bin leise." Gerade sein Wort wird auf die Goldwaage gelegt, dabei wollte er immer nur ein guter Skifahrer sein: „Meine Herangehensweise war es nie, berühmt zu werden."

Hirscher-Sager

„Früher sagte ich: Golf, na habe die Ehre! Dann probierte ich das selber und stellte fest: richtig schwierig. Der Rasen fiel immer weiter als der Ball."

Marcel Hirscher über seinen Respekt anderen Sportarten gegenüber.

„Meine Zielsetzung? Es wäre Schwachsinn, dazu etwas zu sagen. Weltmeis­ter will jeder werden."

Marcel Hirscher über die neue Saison

"Ich blieb gesund und musste nie ein Rennen auslassen."

Marcel Hirscher wundert sich über seine letzten sieben nahezu problemfreien Jahre im Ski-Weltcup

„Ob ich die WM-Kombi fahre? Habe ich eine Baustelle im Slalom oder RTL, investiere ich nicht in ein zweitrangiges Projekt."

Marcel Hirscher zu seinen Ambitionen in einer seiner Gold-Disziplinen bei Weltmeisterschaft und Olympischen Spielen.

„Mit 80 Kilogramm Körpergewicht funktioniere ich am besten."

Marcel Hirscher (1,73 Meter) über seine körperliche Konstitution.

"Ich habe nicht mehr den wahnsinnigen Druck."

Marcel Hirscher über seine Ausgangssituation und einen möglichen achten Gesamtweltcupsieg.