Auf den Falschen eingestochen: 12 Jahre Haft nach Vorfall in Pradl
Die Geschworenen werteten die Messerstiche auf einen Wehrlosen in Innsbruck als Mordversuch.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck –Eine Verwechslung war im März wohl Auslöser für eine blutige Messerstecherei unweit der Pradler Teestube und eines dortigen Supermarktes. Abgespielt hat sich die Tat inmitten der Stadt und doch am Rande der Gesellschaft. So führte das Schicksal einen Albaner mit einem ihm nicht näher bekannten Litauer zusammen. Beide hatten neben der Obdachlosigkeit schwere Lasten zu tragen.
Dem gestern am Landesgericht wegen Mordversuchs angeklagten Albaner waren schon in etlichen Ländern Asylanträge abgewiesen worden. Am Tattag war es nun auch in Österreich so weit gewesen. Der 46-Jährige musste also seine Abschiebung befürchten. In Furcht war er ohnehin: Tags zuvor hatten ihn russischstämmige Männer in der Notschlafstelle derartig zusammengeschlagen, dass sein Gesicht mit 31 Stichen genäht werden musste.
Als ihn darauf der schwerst betrunkene Litauer bei der Teestube mit russischem Akzent nach der Gesichtsverletzung gefragt hatte, vermeinte der Albaner wohl, einen seiner Angreifer wiedergetroffen zu haben. Er lag aber falsch.
Plötzlich ging alles blitzschnell: Der Albaner zog ein kurzes Klappmesser aus der Tasche und drohte dem Litauer, ihn „abzustechen“. Dieser wollte noch flüchten, kam aber wegen der Alkoholisierung zu Sturz. Mit anhaltenden Schreien „I kill you!“ hatte sich der Albaner laut übereinstimmenden Zeugenaussagen in der Folge auf den Litauer geworfen und diesem mehrfach die sieben Zentimeter lange Klinge in den Bauch und die Extremitäten gerammt. Wie durch ein Wunder kam es dabei aber zu keiner Öffnung des Bauchraums, nur ein Bauchmuskel wurde getroffen, erläuterte Gerichtsmediziner Walter Rabl den Geschworenen. Zugleich betonte der Experte aber, dass man auch durch Stiche mit einem so kurzen Messer natürlich jederzeit jemanden töten könne.
Davon wollte wiederum der Albaner nichts wissen. Dieser wollte nicht nur in Notwehr gehandelt haben, sondern erklärte auch, dass man so wohl niemals vorgehen würde, wenn man wirklich jemanden töten wollte: „Wenn ich wirklich seinen Tod möchte, steche ich ihn doch nicht in die Beine. Da gäbe es doch ganz andere Mittel. Ich habe hier ja um Asyl angesucht und will mich bestimmt nicht der Blutrache aussetzen!“ Als der Albaner im März aber von weiteren Stichen abgehalten werden musste, hatte er Zeugen angedeutet, dass der wehrlose Litauer für seine Kopfverletzung verantwortlich wäre.
Die Geschworenen erkannten zu den Stichen darauf mit 5:3 der Stimmen auf einen Tötungsvorsatz. Einstimmig sprachen sie sich gegen Notwehr aus. Unter Aufstöhnen des Albaners ergingen wegen versuchten Mordes nicht rechtskräftig 12 Jahre Haft.