Das höchste der Gefühle: Ötztaler ging solo auf einen 7000er
Der Ötztaler Hansjörg Auer bestieg als erster Alpinist den 7157 Meter hohen Westgipfel des Lupghar Sar in Pakistan über die Westwand. Alleine. Ein toller Erfolg – ohne Medaillen, Sieger-Interviews und Applaus.
Von Matthias Christler
Das muss man sich einmal vorstellen: Der Kletterer, der nur noch wenige Meter vom Gipfelsieg entfernt ist, wird von einer tobenden Menge angefeuert. Sie steht entlang der Aufstiegsroute und treibt den Alpinisten nach oben, jubelt ihm zu, klatscht in die Hände. Rundherum fliegen Drohnenkameras, die das Ereignis live übertragen. Oben angekommen wartet schon ein Offizieller, der ihm eine Medaille umhängt. Das Kamerateam drängt sich vor und will in einem ersten Siegerinterview die Frage loswerden: „Wie fühlen Sie sich nach diesem tollen Erfolg?“
Gut, dass Klettern nicht gleich Klettern ist. Während sich bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck seit Tagen Athleten im sportlichen Wettstreit messen, lässt Hansjörg Auer den neuen Meilenstein in seiner alpinistischen Karriere langsam sacken. Die Leistungen hier wie da sind nicht hoch genug einzuschätzen, doch Auer stand weit weniger unter Beobachtung.
Im Juli bestieg der 34-jährige Profi-Bergsteiger aus Umhausen den 7157 Meter hohen Westgipfel des Lupghar Sar über die Westwand. Etwas, das noch kein Mensch vor ihm getan hat. Und er machte sich alleine auf zum Gipfel. „Ich wollte wissen, wie es ist, wenn man solo auf so einen exponierten Berg klettert. In den Dolomiten bin ich ja viel alleine unterwegs, aber das hat schon eine andere Dimension“, sagt er – und meint damit zum einen die technische Kletterei, ab 6900 Meter ohne Seil, bis zum Gipfel.
Zum anderen war es eine psychische Herausforderung. Anfangs noch von Sherpas begleitet, verbrachte er die letzten Etappen vom Basecamp bis zum Gipfel ohne Kontakt mit anderen Menschen. Kein Kollege war da, mit dem er sich absprechen konnte bzw. musste. „Es hat schon einen Vorteil, wenn du selbst entscheiden musst. Es sind automatisch weniger Emotionen dabei, weil du die ja mit niemandem teilen kannst. Und deshalb ist man fokussierter, ich war also fast noch mehr in diesem Tunnel drinnen“, beschreibt Auer seinen Zustand in der Einsamkeit.
Jede Entscheidung muss passen
Das Alleinsein hat natürlich auch Nachteile. „Jede Entscheidung, die du triffst, muss passen. Zu zweit kann man darüber reden, sich etwas ausdiskutieren. Und natürlich, wenn etwas passiert, gibt es immer noch jemanden, der helfen kann.“
Aber guat is gangen, nix is gschehn. Obwohl er sich teilweise in grenzwertigen Situationen bewegte. Seine Entscheidung, auf 6900 Metern das Seil zurückzulassen, weil der letzte Abschnitt von unten gut machbar ausgesehen hatte und er so schneller vorankommen konnte, würde er heute vielleicht anders treffen. Der Fels sei brüchiger gewesen als erwartet und an einigen Stellen wäre eine Seilversicherung, vor allem beim Abstieg, angebracht gewesen. „Doch wenn du allein bist, bist du auch fähig, mehr zu leisten.“
Ohne Seil schaffte er es auf den Gipfel. Und dort entdeckte er – ein Seil. Es muss noch von der Erstbesteigung der so genannten Tegernsee-Expedition über eine andere Route aus dem Jahr 1979 stammen.
Ein wenig wurmt es Auer, dass er sich nicht entschieden hat, ein Stück des Seils abzuschneiden und mitzunehmen. Denn demnächst ist er bei einem Filmfest am Tegernsee, wo er dem Sohn des Erstbesteigers das Seilstück gerne übergeben hätte.
Nervös? Nicht am Gipfel
Doch oben am Gipfel, auf 7157 Metern, bei starkem Wind, gingen dem Ötztaler andere Gedanken durch den Kopf. Vor allem, dass er seiner Freundin versprochen hatte, sie über das Satellitentelefon anzurufen. Das tat er auch. Neben diesem Gespräch, den Gedanken an den Abstieg, waren es aber vor allem die Gefühle, die diesen Gipfelsieg so besonders machen.
Auer versucht zu beschreiben, wie es sich angefühlt hat, allein auf dem Berg in mehr als 7000 Metern Höhe zu sein, so weit weg von anderen Menschen wie sonst kaum wo auf der Welt. Nur er, der Gipfel und grandiose Aussicht. „Es war ein spezieller Moment. Mir ist es vorgekommen, als wollte ich gar nicht mehr hinunter. Wenn du zu zweit bist, weißt du, du machst dich gleich wieder auf den Weg. Alleine konnte ich es mehr genießen, es war intensiver“, gibt er zu.
So etwas könnte Hansjörg Auer vermutlich nie bei einem Wettkampf wie einer WM spüren. Früher sei er schon bei Bewerben angetreten, aber je mehr Zuschauer waren, umso nervöser sei er geworden. Der Moment am 7157 Meter hohen Lupghar Sar war das genaue Gegenteil. Es war das höchste der Gefühle.