Tirol

Der Islam in Schulen: „Kein Grund, hysterisch zu werden“

(Symbolbild)
© Thomas Murauer

„Kulturkampf im Klassenzimmer“: Das Buch einer Mittelschullehrerin in Wien Favoriten über eine vom Islam dominierte Schule polarisiert. Wie stellt sich die Situation in Tirol dar? Wir haben nachgefragt.

Von Michaela S. Paulmichl

Innsbruck — Es ist derzeit gar nicht erhältlich, schon einen Tag nach Erscheinen am Montag war das Buch von Susanne Wiesinger vergriffen. Doch viele reden darüber, kennen es aus Medienberichten oder vom Hörensagen, denn die beunruhigende Botschaft verbreitet sich rasch: Der Islam verändert die Schule. Oder schlimmer: Die Schule kapituliert vor dem Islam. Die Autorin schreibt von gewaltverherrlichenden Schülern, die westliche Werte ablehnen, von immer radikaler werdenden Eltern und ohnmächtigen Lehrern, die ihren Lehrstoff nicht mehr vermitteln können.

Direktoren von Tiroler Schulen mit einem höheren Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund reagieren verhalten bis kritisch, und Bildungsdirektor Paul Gappmaier meint: „Es gibt nichts zu beschönigen. Aber wir haben andere Verhältnisse als in Wien, und auch in Tirol gibt es Unterschiede zwischen den Ballungszentren und dem ländlicheren Bereich. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren." Die Gesellschaft sei heterogener geworden, „aber das bedeutet nicht, dass es Konflikte geben muss".

Von insgesamt 2905 Klassen in ganz Tirol haben derzeit 1700 einen Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache von unter 20 Prozent, 637 zwischen 20 und 40 Prozent, 361 zwischen 40 und 60 sowie 157 zwischen 60 und 80 Prozent. 21 der 50 Klassen mit einem Anteil von über 80 Prozent sind Deutschförderklassen für insgesamt 256 Schüler, die im August bekannt gegebene Zahl von 236 Kindern und 18 Klassen hat sich damit etwas erhöht. „Aber noch vor wenigen Wochen sind wir von einer weitaus dramatischeren Situation ausgegangen", berichtet Gappmaier. „Über 80 Prozent ist natürlich nicht günstig, aber diese Zahl ergibt sich auch aus der jeweiligen Wohnsituation." Der Bund stellt Tirol insgesamt 39 Planstellen für die Deutschförderklassen und -kurse zur Verfügung. Derzeit steht aber noch nicht fest, wie viele Förderkurse es überhaupt geben wird.

Von den insgesamt 52.087 Tiroler Schülern haben 11.435 eine fremde Muttersprache, das sind 21,9 Prozent. Die meisten von ihnen — 45,9 Prozent — gehen in Innsbruck zur Schule, gefolgt von der Bildungsregion Kufstein (23,7). Am wenigsten sind es in Lienz mit 5,5 Prozent. Rund ein Fünftel der Kinder an Volks- und Neuen Mittelschulen sind nichtdeutscher Muttersprache.

„Wegschauen ist der falsche Weg, wir müssen die Situation im Auge behalten. Aber es gibt keinen Grund, hysterisch zu werden. Von einem Kulturkampf zu sprechen, ist eine unzulässige Schlussfolgerung", sagt Gappmaier. „Die Schulen bemühen sich sehr." Man sei aber auch leidgeprüft, was die zur Verfügung stehenden Ressourcen betrifft, und hier sei keine Besserung in Aussicht. Die Landesregierung musste schon bisher immer wieder zusätzliche Planstellen bewilligen.

„Provokation durch das Buch ist nicht zielführend"

Petra Schöpf, Direktorin Neue Mittelschule Dr. Posch, Hall: „Die Provokation durch das Buch ist nicht zielführend. Uns geht es um ein soziales Miteinander, nicht um Religion, Kultur oder um Kampf. Wir sind eine städtische Schule, natürlich gibt es bei uns diese Thematik. Es ist die Zerrissenheit der Kinder mit Migrationshintergrund. Viele fühlen sich hier wie dort als Ausländer, bei uns und in ihrer Heimat. Sie leben in zwei Welten, kommen in Wertekonflikte.

Manche schämen sich oder leiden, weil ihre Eltern kein Deutsch sprechen. Schule hat auch einen gesellschaftlichen Auftrag, Kinder brauchen Vorbilder. Sie sind die Gesellschaft von morgen, das muss uns bewusst sein. An unserer Schule gibt es nur gemeinsame, interreligiöse Feiern, wir wollen keine Differenzen produzieren. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, das Trennende ist verschwindend klein. Es herrscht ein feines Miteinander, mindestens die Hälfte besucht eine weiterführende Schule, 40 und 45 Prozent haben Migrationshintergrund. Doch es braucht Experten — Koordinatoren für den Sprach­erwerb an den Schulen."

„Zuweisung an Schulen erst nach Deutschunterricht"

Paul Hofbauer, Direktor Polytechnische Schule Innsbruck: „Die in dem Buch geschilderten Probleme oder Extremsituationen kennen wir an unserer Schule nicht, das Zusammenleben funktioniert.

Natürlich gibt es Spannungen und Auseinandersetzungen, aber das kommt auch unter einheimischen Schülern vor. 30 Prozent sind keine österreichischen Staatsbürger, das ist verkraftbar. Die Unterstützung für die Lehrer ist allerdings ausbaufähig, vor allem im sprachlichen Bereich bräuchte es zusätzliche Ressourcen. In diesem Jahr haben wir erstmals Schüler übernommen — alle Flüchtlingskinder —, die gemeinsam in einer Sprachklasse waren, sie sind jetzt geschlossen bei uns.

Diese Situation haben wir noch nie gehabt, wir wissen noch nicht, was auf uns zukommt. Wir hoffen noch auf Unterstützung. Laut Gesetz haben sie 20 Stunden Deutsch, die restlichen 10 Stunden werden sie mit anderen Schülern unterrichtet, da kann es natürlich sein, dass sie nicht viel mitbekommen. Die Sache würde besser funktionieren, wenn diese Kinder in eigenen Einrichtungen Deutsch lernen und erst danach je nach Begabung einzelnen Schultypen zugewiesen werden."

Trennung in Religion: „Schule fördert Glaubenskämpfe"

Josef Pallhuber, Direktor NMS Reichenau, Innsbruck: „Die Situation in Tirol ist mit jener in Wien nicht vergleichbar. Wir haben hier nicht diesen strengen politischen Islam, wie man auch an den Abmeldungen vom Islamunterricht sieht. Es gibt Tendenzen, doch wenn Probleme aufflammen, treten wir sofort mit allen Beteiligten in Dialog. Eltern wissen teils gar nicht, wie ihre Kinder — oft von anderen angefeuert — in der Klasse agieren, und sind dann schockiert. Es geht dabei aber nicht um Verherrlichung, dass — wie im Buch beschrieben — Attentäter gefeiert werden, sondern um die Aufregung: Da ist etwas passiert. Darüber muss man reden, das ist unsere Aufgabe. Kinder sind Kinder.

Meiner Meinung nach fördert die Schule Glaubenskämpfe, Grund ist der getrennte Religionsunterricht. Idee der Neuen Mittelschule war es, die Kinder nicht mehr durch Leistungsgruppen zu trennen, doch wir machen das weiterhin in Religion und heben so die Unterschiede noch hervor.

Wir machen sie öffentlich. Wir feiern deshalb immer einen Eröffnungsgottesdienst für alle in einer römisch-katholischen Kirche mit unserer Islamlehrerin. In einem gemeinsamen Ethikunterricht könnte man viel abfangen, ich bin ein großer Verfechter. Außerdem bräuchte es politische Bildung, über Religion wird ja sehr viel Politik gemacht. Aber auch für die Lehrer sollte es verpflichtende Fortbildung geben. Wie sollen sie bei Problemen vermitteln, wenn sie die Religionen nicht kennen? In dieser Gegend gibt es viele Sozialwohnungen, natürlich ist das hier ein Brennpunkt. 65 Prozent unserer Kinder haben Migrationshintergrund. Doch wenn jemand fragt, sage ich, wir haben 278 Kinder."

„Unterschiede, aber jeder bewahrt das Seine"

Gerlinde Wright, Direktorin Volksschule Altwilten in Innsbruck: „Etwa die Hälfte unserer Kinder hat Migrationshintergrund, doch wir arbeiten an einem friedlichen Miteinander, und das gelingt uns auch. Unser Vorteil sind die vielen verschiedenen Nationen. Es ist nicht günstig, wenn in einer Klasse eine Volksgruppe überhandnimmt. Wenn aber muslimische Kinder aus Sri Lanka, Bangladesch oder aus Afghanistan zusammenkommen, dann müssen sich alle auf Deutsch unterhalten. Mir ist wichtig, dass jedes Kind seinen eigenen Glauben kennen lernt. Erst danach kann es — mit wachem Geist — andere kennen lernen. Die Kinder merken: Es gibt Unterschiede, aber jeder kann das Seine bewahren. Bei uns gibt es keine gemeinsamen religiösen Feiern. Wir legen aber großen Wert darauf, dass der Religionsunterricht, sofern möglich, immer parallel stattfindet — als Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung. Es gibt auch keine Diskussionen darüber, warum manche Kinder keine Gummibärchen essen, und Buben respektieren ihre Lehrerin. Die Kinder lernen: Allah ist der Barmherzige. Kinder können mit jedem Freund und Freundin sein, Religion steht nicht im Vordergrund."

In so genannten Lernbüros wie hier in der NMS Reichenau oder auch in der NMS Dr. Posch in Hall übernehmen junge Menschen unter Anleitung von Lehrern wie Uwe Zanolin (im Bild) die Verantwortung für ihren Lernerfolg und später auch für die Gesellschaft.
© Böhm