Kern: „Hoffe, dass alle wissen, was auf dem Spiel steht“
Der scheidende SPÖ-Chef Christian Kern kritisiert jene in der SPÖ, die immer „die Partei, die Partei“ sagen und doch „ich, ich, ich“ meinen.
Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner, was Sie vielleicht zu Beginn als Vorsitzender auch gebraucht hätten?
Christian Kern: Vielleicht ein unbelastetes Verhältnis zu den Medien. Aber das Motivierendste ist die Zuneigung der Parteibasis.
Die Zustimmung der Basis hatten Sie ja am Anfang.
Kern: Bis zum Schluss. Die positiven Emotionen unserer Unterstützer ist die schönste Belohnung.
Also waren die Parteifunktionäre das Problem?
Kern: Wenn Sie so wollen, war die Parteibasis immer meine Hausmacht. Denn ich war immer von ihrem Idealismus beeindruckt.
Haben Sie die Partei überfordert?
Kern: Was ist die Partei? Es gibt ein paar wenige, die sagen: „Die Partei, die Partei, die Partei!“ Aber sie meinen jedes Mal: „Ich, ich, ich.“ Meine Grundüberzeugung war immerzu: zuerst dem Land zu dienen und sich den Werten der Sozialdemokratie verpflichtet zu fühlen – und eben nicht der eigenen Position. Natürlich war in den vergangenen Tagen viel Emotion im Spiel. Aber letzten Endes bin ich diesen Schritt gegangen, weil ich davon überzeugt bin, dass er der richtige ist.
Sind Sie erleichtert?
Kern: Die Wahrheit ist: ja. Natürlich spürt man so etwas wie Erleichterung. Es ist aber nicht so, dass mir ein Stein vom Herzen fällt.
Ich wiederhole meine Eingangsfrage. Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin, was Sie auch gebraucht hätten?
Kern: Klar ist, ein Maß an Geschlossenheit ist enorm wichtig. Ich hoffe doch, dass jetzt alle in der Partei verstanden haben, was auf dem Spiel steht. Die vergangenen Tage stimmen mich optimistisch.
Geschlossenheit kann man nicht verordnen.
Kern: So ist es. Das ist das Grundproblem von Geschlossenheit und Loyalität. Wir haben uns zu lange mit Interna beschäftigt. Ich habe sicher auf das parteipolitische KleinKlein zu wenig Acht gegeben. Mich haben andere Fragen umgetrieben: Österreich hatte am Beginn meiner Kanzlerschaft ein Wachstums- und Arbeitsmarktproblem. Heute haben wir durch unsere Maßnahmen eine gänzlich andere Ausgangsposition. Die Arbeitslosigkeit sinkt, Einkommen steigen, wir haben das beste Wirtschaftswachstum in Mitteleuropa und können heute bei den Betriebsansiedlungen eine tolle Bilanz vorweisen. Ich wollte immer das Leben der Menschen verbessern, weniger den Kampf um die morgige Schlagzeile gewinnen.
Dies kommt jetzt aber der ÖVP/FPÖ-Koalition zugute.
Kern: Nein, es kommt allen Österreichern zugute. Da bin ich mit mir im Reinen.
Bleibt es bei Ihrer Festlegung, die SPÖ in die Europawahlen zu führen?
Kern: Ja, weil es bei dieser Wahl um eine klare Auseinandersetzung geht: Ich will verhindern, dass die antidemokratischen Kräfte, die Europa spalten wollen, die Oberhand gewinnen. Die Sozialdemokraten sind gut beraten, hier auch in breiteren Bündnissen zu denken.
Sie arbeiten also an einer gemeinsamen Plattform mit Emmanuel Macron bis hin zu Alexis Tsipras?
Kern: Von Macron bis Tsipras, von den Grünen bis zu den Liberalen. Trotz aller Unterschiede: Wir brauchen einen Schulterschluss, um Europa nicht den Orbáns und Salvinis zu überlassen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Die Zeit ist gekommen, für Europa zu kämpfen.
Das Gespräch führte Michael Sprenger