Lebensmittelhandel drängt auf mehr Spielraum bei Flächenwidmung
Wien (APA) - Supermärkte sollten aus Sicht der Branche wieder vermehrt dort entstehen, wo es „idealtypische Standorte“ mit vielen Parkplätze...
Wien (APA) - Supermärkte sollten aus Sicht der Branche wieder vermehrt dort entstehen, wo es „idealtypische Standorte“ mit vielen Parkplätzen und großer Verkaufsflächen gibt - also außerhalb der Ortskerne, denn diese seien für den Lebensmitteleinzelhandel oft nicht geeignet. Der Handelsverband drängt auf eine lockerere Flächenwidmung und hat am Mittwoch eine Studie präsentiert, die positive Effekte aufzeigt.
„Die Realität ist die, dass diese idealtypischen Standorte durch die Raumordnung oftmals verhindert werden und dass man überall sehr bilateral vorgehen muss, in dem man ganze Verkehrsknoten mitfinanziert, damit man in einer Region überhaupt noch einen Standort bekommt, der in einer Peripherie attraktiv ist“, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands, Rainer Will, in einer Pressekonferenz.
„Wenn Sie an die Mariahilfer Straße denken, da gibt es einen Lebensmittler, der dort an der Ecke Neubaugasse sehr verwinkelt weit rein geht und man geht circa 30 Meter, dass man überhaupt den Eingang findet. Das sind Probleme, die eben weit weg sind von einem idealtypischen Standort“, so Will. Der Handelsverband hat zwölf Kriterien für einen idealtypischen Standort. Dazu zählen unter anderem eine Verkaufsfläche von über 1.000 Quadratmetern, die rechtwinkelig angeordnet ist und eine Raumhöhe von dreieinhalb Metern hat. Weitere Faktoren sind die Verkehrserschließung, Anlieferungsmöglichkeiten und Autoabstellflächen.
„Wir sagen nicht automatisch: ‚Am besten ist die grüne Wiese weit weg vom Ort‘. Das sagen wir überhaupt nicht“, erklärte der emeritierte Uni-Professor Friedrich Schneider, der errechnet hat, dass die Supermärkte bis zu 400 Mio. Euro an Personal- und Errichtungskosten sparen würden, wenn sie mehr Spielraum bei der Standortwahl hätten. Schneider leitet aus diesem Einsparungspotenzial Bruttowertschöpfungseffekte von rund 400 bis 500 Mio. Euro ab.
Neben dem Handel würde auch die Baubranche mit 40 bis 50 Mio. Euro profitieren. Zur Thema der Flächenversiegelung räumte Schneider ein: „Das ist ein Problem, dass wir haben.“ Der Ökonom plädierte deshalb dafür, leer stehende Gebäude und Parkplätze zu nützen. „Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass in vielen Fällen das Auto zum Einkaufen unverzichtbar ist.“
Der Verwaltungsrechtsexperte und Linzer Uni-Professor Michael Mayrhofer verwies auf den Strukturwandel im Lebensmittelhandel, auf den die Raumordnungsgesetze nicht reagiert hätten. „Was sich auch geändert hat, so mit der Tasche Einkaufen geht man kaum mehr. Ich kann nur von mir sprechen: Unabhängig davon, wo das Geschäft wäre - wenn ich den Wocheneinkauf erledige, dann brauch‘ ich das Auto“, sagte Mayrhofer. Die Raumordnung wolle „immer noch, wenn man so salopp sagt, den Kaufmann ums Eck vor den großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese schützen.“
Durch große Einkaufszentren am Stadtrand, die ab den 70er-Jahren nach US-Vorbild gebaut wurden, sind Nahversorger in Ortskernen und Einkaufsstraßen immer mehr unter Druck geraten. Aus dieser Einsicht heraus haben die Bundesländer begonnen, das Raumordnungsrecht als Instrument gegen diese Veränderungen einzusetzen. Als besonders streng gelten laut Handelsverband Tirol, Salzburg und Niederösterreich. Ziel der Flächenwidmungsregeln ist, die Ortszentren und den Greißler zu schützen. Allerdings, so Mayrhofer: „Wenn man heute durch Orte geht, sieht man natürlich, dass in Wahrheit diese Ziele alle nicht erreicht wurden.“ Verfassungsrechtlich erlaubt seien solche Restriktionen in der Raumordnung aber nur dann, wenn sie öffentliche Ziele erreichen. Mayrhofer hält die Raumordnungsgesetze daher für verfassungswidrig.
Österreichs Lebensmitteleinzelhandel ist stark konzentriert. Die drei größten Supermarktketten Hofer, Spar und Rewe (Billa, Merkur, Penny) dominieren den Markt mittlerweile fast 84 Prozent. Eine lockerere Raumordnung könnte helfen, diese Marktmacht einzudämmen und den Wettbewerb erhöhen. „Wir haben Bundesländer, wo die immer wieder zunehmende Verschärfung des Raumordnungsrechts sich als Konkurrenzschutzmittel auswirkt. Das heißt, wer noch keinen Standort hat, bekommt auch keinen mehr“, sagte Mayrhofer, der darin Markteintrittsbarrieren sieht.
Der stationäre Handel sieht sich durch die strenge Flächenwidmung auch gegenüber Onlinehändlern benachteiligt. Denn Auslieferungslager von Versandhändlern seien durch die Raumordnung nicht beschränkt. Amazon und Co. seien, so Handelsverband-Chef Will, deutlich stärker geeignet, zu einem Absterben der Ortszentren zu führen. Es würde insbesondere die Landbevölkerung darunter leiden, wenn Städte zu Schlafstätten für Pendler verkommen, so Will.
Mayrhofer wies darauf hin, dass der Internethandel trotz Zustellung keine kurzfristige Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs biete. „Ich geh‘ schnell und hol‘ mir einen Liter Milch, das bietet auch der Onlinehandel nicht.“ Die Politik sei auch deshalb gefordert, weil die Online-Konkurrenz das betriebswirtschaftliche Problem nicht idealer Standorte verschärfe.