Großbritannien

Parteikongress der Tories: May kämpft für „ihren“ Brexit

Großbritanniens Premierministerin Theresa May.
© REUTERS

Wenn sich ab Sonntag die Konservativen in Großbritannien zusammensetzen, geht es um nichts anderes als die Zukunft das Landes. Premierministerin Theresa May kämpft dabei für „ihren“ weichen Brexit, für den sie aber derzeit weder in der Partei einhellige Zustimmung hat – geschweige denn eine Übereinkunft mit der EU.

Von Tom Körkemeier/Reuters

London – Vermutlich ist „Richard III.“ das Drama von William Shakespeare mit den meisten Intrigen. Der anstehende Parteitag der britischen Konservativen könnte ein Schauspiel von ähnlichem Ausmaß bieten. Einmal mehr muss sich dort Premierministerin Theresa May ihren zahlreichen Kritikern innerhalb der Tory-Partei stellen und ihre Brexit-Pläne verteidigen.

Anders als bei den Shakespeare-Dramen – die für die Protagonisten oft tragisch enden – ist aber in diesem Fall das Ende völlig offen. Denn genau sechs Monate vor dem geplanten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union steht nur fest, dass gar nichts feststeht. Bis zum 29. März 2019 ist ein geordneter Abschied der Briten aus der EU genauso möglich wie ein chaotischer Austritt; ist ein Sturz Mays und eine vorgezogene Neuwahl eine ebensolche Option wie ein zweites Referendum.

Ein weiterer Akt in diesem langen Brexit-Drama wird beim Parteikongress der Tories vom 30. September bis 3. Oktober in Birmingham gegeben. May will dort ihre Linie in den Verhandlungen mit der EU verteidigen und Stärke demonstrieren. Nach dem EU-Gipfel in Salzburg, bei dem es vorige Woche keine Annäherung gab, sah sie sich allerdings heftiger Kritik der britischen Presse ausgesetzt. Die EU wiederum gab seitdem wiederholt zu verstehen, dass May ihre Pläne so nicht durchbringen wird.

May will freien Handel nur für Waren

Die im Juli im Landhaus Chequers nach langen internen Auseinandersetzungen vereinbarten Pläne der britischen Regierung umfassen unter anderem ein Freihandelsabkommen mit der EU für Waren, nicht aber für Dienstleistungen. Zudem soll die EU-Gerichtsbarkeit nicht mehr auf den britischen Inseln gelten, in einigen wichtigen Bereichen die EU-Regeln aber beibehalten werden. May will zudem den Zuzug von EU-Bürgern stoppen, was gegen das EU-Prinzip der Personenfreizügigkeit verstößt. Umstritten ist zudem der Umgang mit der Landgrenze zwischen dem zur EU gehörenden Irland und der britischen Provinz Nordirland. Die EU und Großbritannien wollen dort eine feste Grenze mit dauerhaften Kontrollen verhindern – wie das erreicht werden soll, ist bisher unklar.

Mit der harten Haltung der EU im Nacken steht die Regierungschefin in Birmingham Parteifreunden gegenüber, die ihr mindestens genauso zusetzen. Die Befürworter eines harten Brexit, also eines möglichst klaren Schnitts mit der EU, sind bei den Tories zahlreich und lautstark. Angeführt werden sie vom früheren Außenminister Boris Johnson, dem Ex-Brexit-Minister David Davis sowie dem Abgeordneten Jacob Rees-Mogg. Der BBC zufolge diskutierte eine Gruppe von 50 Tory-Abgeordneten kürzlich, wie und wann man May am besten loswerden könnte. Rees-Mogg wies den Bericht zurück.

Abweichler in Partei stellen Mehrheit in Frage

Die Abweichler innerhalb der Tories werden für May spätestens dann zum Problem, wenn es im Unterhaus zum Schwur kommt, also zur Abstimmung über das Austrittsabkommen mit der EU. May benötigt die Stimmen von 320 der 650 Abgeordneten. Das sind fünf mehr als ihre eigene Partei besitzt. Allerdings wollen nach Angaben von Davis mindestens 40 Tories die Gefolgschaft verweigern, wenn sie an den „Chequers“-Plänen festhält. Verlässliche Zahlen zu den möglichen Abweichlern gibt es nicht – vor wenigen Wochen sprach ein anderes ehemaliges Regierungsmitglied, Steve Baker, gar von 80 Gegenstimmen. Und Johnson, dem schon lange Ambitionen auf die Partei- und Regierungsspitze nachgesagt werden, verdammte die „Chequers“-Vorschläge zuletzt mit drastischen Vergleichen – etwa, dass May dem Königreich damit eine Sprengstoffweste umgehängt habe.

Zu diesem internen Druck kommt für May die neue Positionierung der oppositionellen Labour-Partei hinzu. Deren Chef Jeremy Corbyn kündigte an, dass die Labour-Abgeordneten im Unterhaus gegen „Chequers“ stimmen werden. Falls Mays Linie im Parlament keine Mehrheit findet, strebt Labour Neuwahlen an – und schließt auch ein zweites Referendum nicht aus. Bei der Brexit-Frage ist die Partei aber genauso gespalten wie die Tories. Eigentlich stehen die nächsten Parlamentswahlen erst 2022 an, also weit nach dem angepeilten Brexit.

Verlängerung für „Brexiteers“ kaum vorstellbar

Eine weitere Option ist die Verlängerung der im März auslaufenden Brexit-Frist. Angesichts der stockenden Verhandlungen zwischen London und Brüssel und der Tatsache, dass ein ungeordneter Brexit für keine Seite Vorteile bringt, ist das eine Möglichkeit, der allerdings alle 28 EU-Staaten zustimmen müssten. Bei den Brexit-Hardlinern würde das aber voraussichtlich zu einem Aufschrei führen. Auf EU-Seite hoffen Diplomaten deshalb, dass nach dem Tory-Parteitag Bewegung in die Gespräche kommt. Einige rechnen aber damit, dass sich die Verhandlungen über einen geplanten EU-Sondergipfel Mitte November hinaus bis Weihnachten hinziehen.

Für May wird der Auftritt in Birmingham also zu einer Gratwanderung. Bei ihrer Rede auf dem Tory-Kongress im vorigen Jahr hatte sie nicht nur gegen ihre Kritiker zu kämpfen: May versagte wegen eines Hustenanfalls wiederholt die Stimme, ein Komiker überreichte ihr während der Ansprache ein Kündigungsschreiben und hinter ihr brachen auf der Bühne Buchstaben aus dem Parteislogan ab.

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