Unter Beobachtung: Hochvogel mit Sensoren gespickt
Der Spalt am Gipfel des Hochvogels wächst. Geologen der TU München wollen ein neues Frühwarnsystem entwickeln. Zahlreiche Messgeräte liefern ihnen dafür Daten direkt aus der Problemzone auf 2592 m.
Von Simone Tschol
Hinterhornbach –Noch thront der Hochvogel mit seinen 2592 m markant in den Allgäuer Alpen hoch über Hinterhornbach. Doch er ist ein geteilter Berg. Nicht nur, dass auf seinem Gipfel die Grenze zwischen Österreich und Deutschland verläuft. Wie bereits berichtet, haben sich dort auch große Risse gebildet. „Es wird wahnsinnig laut und macht Staubwolken über Stunden hinweg“, versucht Michael Krautblatter, Geologe der Technischen Universität München, den Tag X zu beschreiben, an dem die südseitige Flanke sich lösen und in die Tiefe donnern wird.
Im Juli haben Krautblatter und sein Team neue Messgeräte direkt im Spalt installiert. Jede noch so kleine Bewegung des Berges wird von Sensoren erfasst, die Daten in Echtzeit via Funk nach München geschickt.
„Der größte Spalt ist aktuell zirka 50 Meter lang und an manchen Stellen zieht er sich bereits 70 bis 80 Meter in die Tiefe. Und der Hochvogel ist ständig in Bewegung. Aktuell messen wir eine Verschiebung von 2,5 Millimetern pro Monat, die schnellsten Werte von kleineren Teilspalten sind 2 Millimeter pro Woche“, gewährt Krautblatter Einblick in die jüngsten Messergebnisse.
Wann es zum Abbruch kommen wird, kann er nicht sagen. „Aber genau daran arbeiten wir. Prinzipiell gilt jedoch, dass es zwei bis drei Tage vor einem Abbruch zur beschleunigten Ausdehnung der Spalten kommt“, lässt der Experte für Naturgefahren, Hangbewegungen und Permafrostsysteme wissen und fügt hinzu: „Wir versuchen funktionierende Frühwarnsysteme zu entwickeln, die wir im Notfall in wenigen Tagen an neu auftretenden Naturgefahren- herden installieren können.“
Am Hochvogel werden diese Messsysteme unter realen Bedingungen wie extremen Temperaturen und Topographien getestet. Eine Herausforderung für Mensch und Material. Krautblatter: „Unser größter Feind ist der Blitzschlag. Wir mussten trotz Blitzschlagschutz schon einige Sensoren tauschen.“
Das Geologenteam ist in verschiedenen Alpenländern tätig. Der Hochvogel nimmt jedoch eine besondere Stellung in ihrer Arbeit ein. „Er ist für uns schon etwas Spezielles, weil man selten so große Bewegungen beobachten kann“, verrät Krautblatter.
Das Team der TU München steht in ständigem Kontakt mit den Tiroler Landesgeologen, dem Alpenverein, der Bergrettung und der Landeswarnzentrale Tirol sowie dem bayerischen Landesamt für Umwelt. Falls auffällige Messungen auftreten, werden diese umgehend informiert.
Dann wird auch der Weg von Norden her gesperrt. Jener von Süden ist bereits seit 2014 gesperrt – dort besteht absolute Lebensgefahr.
Aus einer Analyse konnten für den Hochvogel sechs potentielle Felssturzeinheiten von 8000 bis 148.000 Kubikmeter ermittelt werden. Alle zusammen ergeben 260.000 Kubikmeter Material. Ein gleichzeitiger Absturz sei laut Krautblatter derzeit aber unwahrscheinlich.
Die Messungen am Hochvogel erfolgen im Rahmen des Forschungsprojektes „AlpSenseBench“. Dieses ist ein Leuchtturmprojekt der europäischen Alpeninitiative EUSALP, bei der Tirol gerade den Vorsitz hat. Krautblatter abschließend: „Alpine Naturgefahren wie Murenabgänge, Felsstürze und die Folgen des Auftauens der Permafrostböden nehmen in einigen Bereichen der Alpen signifikant zu. Sie treffen auf eine ausgebaute Infrastruktur, den erhöhten Freizeitnutzungsdruck und betreffen auch wichtige Transportkorridore. Da die Möglichkeiten der Verbauung begrenzt sind, kommt dem besseren Prozessverständnis und der Vorhersage eine Schlüsselfunktion zu. Und daran arbeiten wir.“