Felix Mitterers “Vomperloch“: Die Bestie Mensch
Man wird den Krieg auch dann nicht los, wenn man das Schlachtfeld hinter sich gelassen hat: Mit der Uraufführung von Felix Mitterers Deserteursstück „Vomperloch“ wurden am Sonntagabend Innsbrucks neue Kammerspiele erstbespielt.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –2005 beschloss der Nationalrat ein Gesetzespaket, das die Diskriminierung und Kriminalisierung von Wehrmachtsdeserteuren wenigstens de jure beendete. Für den Großteil jener Männer, die im Zweiten Weltkrieg als „Fahnenflüchtige“ verfolgt und noch Jahrzehnte später als „Feiglinge“ geächtet wurden, kam diese sprichwörtliche Rechtfertigung zu spät. Noch 2007 entblödete sich einer, der sich kürzlich für ein hohes Richteramt bewarb, nicht, Franz Jägerstätter in einem rechtsrechten Wochenblatt „Verräter“ zu schimpfen. Jägerstätter war kein Deserteur. Aber auch er verweigerte den Kriegsdienst – und bezahlte dafür mit seinem Leben. Inzwischen steht er sinnbildlich für all jene, die nicht mitmachen wollten, nicht mitmachen konnten beim Vernichtungskrieg. Und die, so sie überlebten, allzu oft mit Schimpf und Schande gestraft wurden. 2013 hat Felix Mitterer ein Drama über Franz Jägerstätter geschrieben. Mit „Vomperloch“, seinem jüngsten Stück, schließt er inhaltlich daran an: Er gestaltet die Geschichte von Deserteuren aus, die sich in den letzten Kriegsjahren in den Flanken des titelgebenden Tales versteckten. Vieles, was man auf der Bühne sieht, was einem beinahe unerträglich nahegeht, ist verbürgt.
Am Sonntagabend kam „Vomperloch“ in den Kammerspielen zur Uraufführung. Regisseur Thomas Krauß, der Mitterer den Stoff für das Auftragswerk zur Eröffnung der neuen Spielstätte nahelegte, inszenierte es als ganz präzise getaktete Studie des (Über-)Lebens in einer psychischen und physischen Extremsituation. Es sind keine Helden, die Krauß auf Helfried Lauckners steil abfallende, mit Felsbrocken versehene Bühne stellt. Nicht einmal Überzeugungstäter. Verzweifelt sind sie, versehrt: Ein SSler, der des Mordens müde ist, der mörderischen Ideologie aber nicht abgeschworen hat; ein Knecht, der sich selbst verstümmelte; ein angehender Priester; ein Kommunist; eine Jungbäuerin und der polnische Zwangsarbeiter, in den sie sich verliebt hat. Sie müssen zusammenleben – und können es eigentlich nicht. Zu groß ist das Misstrauen, zu zersetzend die Angst, aufzufliegen. Sie kauern und lauern, fahren aus der Haut, toben und taumeln. Sie erlauben sich Grausamkeiten, im Glauben, andere Grausamkeiten zu verhindern. Zugegeben: Es gibt auch manch Mitterer’schen Rührstückmoment, etwa ein gemeinsames Weihnachtsfest. Aber selbst hier kippt die Stimmung schnell – und entlädt sich in aggressiven Ausbrüchen. Ganz penibel wird in diesem hochalpinen Kammerspiel durchdekliniert, was Krieg mit dem Menschen macht – und gezeigt, dass man den Krieg auch dann nicht loswird, wenn man das Schlachtfeld hinter sich gelassen hat. Das Spiel des Ensembles – Stefan Riedl als SSler, Christoph Schlag als Knecht, Johannes Gabl als Kommunist, Ulrike Lasta als Bäuerin, Ingo Paulick als Zwangsarbeiter und Fabian Schiffkorn als Geistlicher – ist durchwegs hervorragend, bisweilend beinahe verstörend grob und doch, gerade in den intimeren Momenten, reich an feinsten Nuancen. Trotzdem ist „Vomperloch“ wuchtiges Volkstheater – nicht unbedingt subtil (warum auch?), kaum verkünstelt und geradlinig wie ein gezielter Schlag in die Magengrube.
Die schlechte Nachricht für Kurzentschlossene: Bis Mitte Februar sind alle Vorstellungen ausverkauft.