Musik

“In The Blue Light“: Paul Simons Goldener Herbst

Paul Simon blickt auf 60 Jahre im Musikgeschäft zurück. Heuer gab er seine Abschiedstournee.
© imago/Andreas Weihs

Ein Weltstar covert sich selbst, bevor es andere tun: Paul Simon (76) hat zehn seiner weniger bekannten Songs neu vertont. „In The Blue Light“ ist ein spätes Meisterwerk geworden.

Von Markus Schramek

Innsbruck –Während diese Zeilen (hoffentlich lesbare) Gestalt annehmen, läuft Paul Simons neuer musikalischer Output „In The Blue Light“ im Kopfhörer auf Dauerschleife. Ungestraftes Musikhören während der Arbeitszeit? Ein klassischer Fall von Journalistenprivileg, und in diesem Fall ein ganz besonderes. Denn es fällt schwer, sich von der Simon-Scheibe wieder loszureißen. Übermorgen Samstag macht der Weltstar sein 77. Lebensjahr voll. Der Sänger/Songwriter aus New York ist mittendrin im Herbst seiner Karriere. Auf der neuen Platte leuchtet dieser in den schönsten goldenen Farben.

Wobei – „neu“ stimmt so nicht. Denn wirklich neue Songs hat sich Simon für sein 14. Soloalbum (gerechnet ab der Trennung von Langzeitgesangspartner Art Garfunkel Anfang der 70er-Jahre) nicht einfallen lassen. Wozu auch? Sein Werkskatalog umspannt Jahrzehnte. Hitsingles belebten in schöner Regelmäßigkeit das Geschäft: „50 Ways To Leave Your Lover“ (1975), „Late In The Evening“ (1980) oder „You Can Call Me Al“ (1986) nur so als Beispiele.

Für sein möglicherweise letztes Studioalbum (so wird es jedenfalls gemunkelt) schiebt Simon das allseits bekannte Liedgut aus seiner Feder aber elegant beiseite. Stattdessen fischt er zehn seiner Songs heraus, die bis dato eher untergingen. Die Auswahlkriterien beschreibt Simon so: „Es sind Songs, die ich für fast gut genug hielt oder die so seltsam waren, dass sie beim ersten Mal überhört werden konnten.“

Das Ergebnis dieses Bemühens ist aller Ehren wert. „In The Blue Light“ ist eine Selektion stimmungsvoller Song-Perlen. Uralt-Nummern wie der 45 Jahre alte Track „One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor“ oder das balladeske „Love“ (aus dem Jahr 2000) erhalten ein wohlig-warmes musikalisches Mäntelchen, mit Elementen von Jazz und Blues. Eine handverlesene Auswahl von Jazzmusikern zeigt virtuos auf, am Klavier oder auf diversen Gitarren und Blasinstrumenten.

Ein schwer zugängliches Lied wie „Can’t Run But“ (vom Album „The Rhythm Of The Saints“, 1990) wird in der Neufassung gar zum kleinen Kammermusikstück veredelt, mit Geige, Cello und Querflöte, bestens dosiert. Simons melancholisch-melodiöser Gesang wird getragen und nicht zugedeckt. Gottlob findet sich hier keine Spur von überfrachtetem „Pop meets Klassik“. Es kann grausliche Folgen haben, wenn U-Musik-Haudegen ganze Orchester antreten lassen, um Altware pathetisch aufzupeppen.

Unsagbar eindrücklich ist das Remake von „Darling Lorraine“ (Original auf dem Album „You’re The One“ aus dem Jahr 2000): das Auf und Ab einer Beziehung, die tragisch mit dem Krankheitstod des weiblichen Parts endet. Schieres Herzensleid in vertonter Form. Daher Vorsicht: Gänsehaut ist bei dieser Aufnahme ziemlich sicher, manches zerdrückte Tränchen keineswegs ausgeschlossen.

Pop-Remake im Jazzgewand Paul Simon: „In The Blue Light“. Legacy Recordings/Sony Music.