Der Deppendoktor und der Trafikant seines Vertrauens
Nikolaus Leytners Verfilmung des Robert-Seethaler-Romans „Der Trafikant“ ist ein Abgesang auf das Wien der Zwischenkriegszeit.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck –Rauchwaren haben heutzutage einen schweren Stand. Das zeigte sich nicht zuletzt in den vergangenen Tagen, als Hunderttausende Österreicherinnen und Österreicher für ein verschärftes Rauchverbot unterschrieben.
Im Wien des Jahres 1937/38 war das noch anders. In der Tabaktrafik von Otto Trsnjek (Johannes Krisch) gehen Hofräte ebenso aus und ein wie ein bekennender Kommunist, „roter Egon“ genannt. Nur Nazis bedient der ehrbare Trafikant nicht gerne. Besonders umsorgt wird im Hause Trsnjek jedoch ein ganz besonderer Stammkunde: Der „Deppendoktor“ Sigmund Freud (Bruno Ganz) holt sich beim Trafikanten seine geliebten Zigarren. Dass sie dem Professor Gaumenkrebs bescherten, der ihn wenig später im Londoner Exil das Leben kostete, spart Nikolaus Leytners „Der Trafikant“ freilich aus.
In der Verfilmung von Robert Seethalers gleichnamigem Roman von 2012 steht dann auch nicht der Begründer der Psychoanalyse, sondern ein junger Mann im Zentrum, mit dem sich Freud langsam anfreundet: Franz (Simon Morzé). Frisch vom Attersee ins große Wien gekommen, lernt er bei Trsnjek das Trafikanten-Handwerk. Nebenbei erkundet er das immer brauner werdende Wien, verliebt sich im städtischen Prater in ein böhmisches Mädchen namens Anezka und hängt seltsamen Träumen nach, die er Professor Freud berichtet.
„Der Trafikant“ ist ein Wien-Film par excellence. Das Porträt einer Stadt im Wandel und ein Abgesang auf das Wien der Zwischenkriegszeit, wo neben dem alten imperialen Charme bereits die neue Zeit spürbar war. Die Nazis setzten all dem ein Ende, machten sie endgültig zur „Welt von gestern“, der nicht nur Stefan Zweig nachtrauerte. Nach einem Jahr in Wien wird auch für Franz alles anders sein: Der Trafikant wird verhaftet, der Ton rauer, die Welt dunkler. Und auch Sigmund Freud wählt widerwillig die Emigration.
Der teilweise im Südtiroler Sterzing gedrehte Film müht sich sichtlich um Zeitkolorit. Groß ist der Aufwand für die Ausstattung. Trotzdem bleibt vieles Requisite, ganz so, als würden die Figuren durch eine liebevoll gestaltete Museumsanlage streifen. Die Schauspielleistungen hingegen überzeugen: Simon Morzé meistert seine etwas konstruierte Rolle gut. Die Chemie zwischen ihm und dem zuweilen ins schweizerische abrutschenden Bruno Ganz als Freud stimmt. Ebenso die Liebelei mit Emma Drogunova, die ihre Böhmin keck und selbstbewusst doppelbödig anlegt. Schlicht brillant ist Johannes Krisch als Trafikant. Der Wiener Grant macht ihm sichtlich Spaß.
Sigmund Freud übrigens wird bald in Serie gehen. Die Dreharbeiten zu Marvin Krens Achtteiler „Freud“ – eine Koproduktion des ORF und des Streamingdienstes Netflix – beginnen Anfang 2019. Frühestens 2020 soll Sigmund Freud gewissermaßen als Kriminalpsychologe avant la lettre im Wien der 1880er-Jahre Mördern nachstellen. Bruno Ganz hingegen spielt Freud in „Der Trafikant“ als alternden Professor, der eine Plauderei jedem Patientengespräch vorzieht.