Paul VI. - Einsamer Reformerpapst wir heiliggesprochen

Vatikanstadt (APA) - „Hamlet im Vatikan“, „Konzilspapst“, „Pillen-Paul“ - Wohl keinem Pontifex des 20. Jahrhunderts wurden so viele Spitznam...

Vatikanstadt (APA) - „Hamlet im Vatikan“, „Konzilspapst“, „Pillen-Paul“ - Wohl keinem Pontifex des 20. Jahrhunderts wurden so viele Spitznamen angehängt wie Paul VI., der am 14. Oktober von Papst Franziskus heiliggesprochen wird. Den einen war der Vollender des Zweiten Vatikanischen Konzils zu progressiv, den anderen der entschiedene Gegner der künstlichen Empfängnisregelung zu konservativ.

Unbestritten ist jedoch, dass Giovanni Battista Montini die Grundlage für das moderne Amtsverständnis des Papstes legte und zahlreiche Reformen einführte, die die katholische Kirche bis heute prägen. Papst Franziskus selbst hat ihn einen „großen Papst der Moderne“ genannt und einen Fürsprecher „für die Kirche, die er so sehr geliebt hat, und für den Frieden in der Welt“.

Der 1897 in der Nähe der norditalienischen Stadt Brescia geborene Erzbischof von Mailand wurde 1963 zum Nachfolger von Johannes XXIII. gewählt. Die Hauptaufgabe seiner ersten Papstjahre bildete die Begleitung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das noch sein - ebenfalls heiliggesprochener - Vorgänger initiiert hatte. 1965 gelang ein erfolgreicher Abschluss dieser größten Kirchenversammlung der Geschichte, die etwa auf dem Gebiet der Ökumene und des interreligiösen Dialogs eine neue Seite der Kirchengeschichte eröffnete.

Paul VI. setzte in den Folgejahren entschlossen die Reformen des Konzils um, wobei die Liturgiereform von 1969 für den Alltag der meisten Katholiken die wohl prägendste wurde. Der Messablauf wurde dabei deutlich gekürzt; zudem wurde der Anteil der Texte, den der Priester für alle Anwesenden hörbar spricht, stark erweitert. Die Verwendung der Volkssprache statt des Latein und die Zelebration „zum Volk hin“ auf den neu errichteten Volksaltären - jene beiden Elemente der neuen Liturgie, die die meisten Gläubigen heute damit verbinden - bildeten zwar ursprünglich gar nicht Teil der Reform, verbreiteten sich jedoch nach deren Einführung mit rasender Geschwindigkeit in der ganzen Welt.

Doch auch auf anderem Gebiet setzte Paul VI. neue Akzente. So unternahm er als erster Pontifex der Neuzeit regelmäßige Auslandsreisen, und das gleich auf alle fünf Kontinente. Besonders bedeutsam war sein Besuch im Heiligen Land 1964, die erste geschichtlich fassbare Pilgerreise eines Papstes zu den bedeutendsten Stätten der Christenheit. Hier kam es zu der historischen Umarmung mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Athenagoras, dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, in Gefolge dessen die gegenseitigen Exkommunikationen von 1054 aufgehoben wurden.

Viele seiner Auslandsreisen - einschließlich einer Ansprache vor der UNO-Vollversammlung in New York 1965 - waren von seiner Sorge um die Armen und die Gerechtigkeit zwischen den Völkern geprägt. Montini hatte sich bereits in Mailand als sozial engagierter „Arbeiterbischof“ einen Namen gemacht. Dieses Engagement stand im Mittelpunkt seiner 1967 viel Staub aufwirbelnden Enzyklika „Populorum progressio“, die die „New York Times“ kurzerhand als „ein fast marxistisches Dokument“ bezeichnete.

Doch im Nachhinein wurde der Ruf dieses Schreibens von der Folgeenzyklika „Humanae vitae“ überschattet. Darin sprach sich der Papst dezidiert gegen jegliche Methode der künstlichen Empfängnisregelung aus. Im Revolutionsjahr 1968 wirkten solche Aussagen bereits wie aus einer längst vergangenen Zeit, und brachten Paul VI. innerkirchlich viel Empörung und außerkirchlich noch mehr Spott ein.

Allerdings ging es dem Papst in dem Rundschreiben gar nicht isoliert um die „Pille“ - die im Text überhaupt nicht namentlich vorkommt -, sondern um die Bedeutung der Sexualität im personellen und gesellschaftlichen Gesamtkontext. Er warnte vor einer sexuellen und menschlichen Verwahrlosung der Gesellschaft ebenso wie vor staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Empfängnisregelung - wie sie etwa später in der chinesischen „Ein-Kind-Politik“ Wirklichkeit wurden. Manche Gedanken des Textes wurden von Papst Johannes Paul II. aufgegriffen und in den 1980er Jahren zu einer umfassenden „Theologie des Leibes“ weiterentwickelt.

Die Tragik des Montini-Papstes bildete im Grunde, dass er es niemandem recht machen konnte: Für die kirchlichen Progressiven war er zu „zaghaft“ und „altmodisch“, für die politischen Konservativen stand er unter Marxismusverdacht, für die kirchlichen Traditionalisten war er ein „Modernist“, der gar durch seine Reformen die Kirche fast zerstört haben soll.

Tatsächlich litt der einsame „Hamlet im Vatikan“ stark unter der innerkirchlichen Aufregung und Verwirrung der Nachkonzilsjahre, als etwa viele Priester und Ordensleute ihre Berufung verließen und Theologen an katholischen Fakultäten begannen, offen die Grundelemente des christlichen Glaubens anzuzweifeln. Seine letzten Monate wurden zudem durch die Entführung und Ermordung seines Studienfreundes, des italienischen Christdemokraten Aldo Moro, überschattet.

Er starb am 6. August 1978 an den Folgen eines Herzinfarkts in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo. Am 19. Oktober 2014 wurde er von Papst Franziskus seliggesprochen.

(Aktualisierte Fassung der APA044 vom 14.10.2014)