„Schwammen ums Überleben“: Tote, Vermisste und Chaos auf Mallorca
Der Sommer ist gerade erst vorbei, da wird die Urlaubsinsel Mallorca von plötzlichem Starkregen heimgesucht. Menschen sterben, Helfer suchen ohne Pause nach Vermissten. Erst als sich die Wassermassen langsam zurückziehen, wird das ganze Ausmaß der Zerstörung ersichtlich. Geschockte Augenzeugen erzählen.
Palma – Ein verheerendes Unwetter mit sintflutartigem Regen hat auf Mallorca mindestens zehn Menschen getötet. Sturzregen verwandelte mancherorts Straßen innerhalb kürzester Zeit in reißende Flüsse. Die Rettungskräfte suchten auch in der Nacht noch nach Vermissten. Darunter sind ein Kind und ein Deutsches Ehepaar.
Doch mehr als 24 Stunden nach der Katastrophe schwindet die Hoffnung, noch Überlebende zu finden. Sogar das Meer wird nach Opfern abgesucht, hierfür sind Taucher im Einsatz. Einige Autos waren ins offene Gewässer gespült worden.
Sechs Männer und vier Frauen unter Todesopfern
Das Wasser hat sich mittlerweile zurückgezogen, allmählich wird das Ausmaß der Zerstörung ersichtlich. Insbesondere die Ortschaften Sant Llorenç des Cardassar, S‘Illot und Artà rund 60 Kilometer östlich von Palma sind verwüstet. In den Straßen liegen Schutt, Möbel, Trümmerteile und zerbeulte Autos übereinandergetürmt. Die Bewohner haben begonnen, aufzuräumen. Auch in der Nacht versuchten Anwohner mit Besen und Schaufeln den Schlamm aus den Häusern zu schaffen.
Bei den bisher geborgenen Toten handele es sich um sechs Männer und vier Frauen, so die Einsatzkräfte. Drei der Opfer seien Ausländer – ein Paar aus Großbritannien und eine Holländerin. Ein Mann habe noch nicht identifiziert werden können. Die zwei Briten starben den Angaben zufolge in S‘Illot in dem Ort Son Servera, als sie im Taxi von den Fluten überrascht wurden. In Sant Llorenc starben der frühere Bürgermeister Rafel Gili (71) und ein älteres Ehepaar.
233 Liter Regen in zwei Stunden
„Was ich hier heute gesehen habe, das ist schlimmer als Krieg. Es ist eine Katastrophe“, zitierte das „Mallorca Magazin“ den Deutschen Thomas Wenzel, der seit mehr als 20 Jahren in der 8000-Einwohner-Gemeinde Sant Llorenc des Cardassar wohnt.
Dort spielten sich dramatische Szenen ab, als ein Sturzbach über die Ufer trat. Innerhalb von nur zwei Stunden stürzten dort am Dienstagabend nach Angaben des Wetterdienstes 233 Liter Wasser pro Quadratmeter vom Himmel. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr sind in Deutschland im Schnitt 850 Liter pro Quadratmeter heruntergegangen.
Zahlreiche Autos wurden mitgerissen und Häuser unter Wasser gesetzt, wie auf Bildern und Videoaufnahmen von Medien und des meteorologischen Dienstes der Balearen zu sehen war. Bewohner versuchten verzweifelt, das Wasser mit Eimern aus ihren Häusern zu schippen.
Kanalisation nur auf Schönwetter angelegt
Betroffene erzählten von dramatischen Augenblicken: „Ich bin ums Überleben geschwommen“, sagte ein junger Mann im spanischen Fernsehen. Ihm stand die Panik noch im Gesicht. Rentner Manuel Torescussa wurde von den Wassermassen in der Nähe von Sant Llorenc in seinem Auto erwischt. „Ich konnte gerade noch aus einem Fenster ins Freie klettern und musste dann 500 Meter schwimmen, fast meine gesamte Kleidung blieb dabei an einem Metallzaun hängen“, erzählte er der Zeitung „Diario de Mallorca“.
„Es war fürchterlich. Gegen 18 Uhr hat es begonnen wie aus Eimern zu schütten, immer mehr und immer mehr“, sagte der gebürtige Münchner Kurt Kuhl von der Hoeden (63), der im ebenfalls im Osten der Insel gelegenen Son Servera Ferienwohnungen vermietet. Alles sei braun und voller Schlamm. „Die Kanalisation auf Mallorca ist ausschließlich auf Schönwetter angelegt“, erklärte er der Deutschen Presse-Agentur.
„Gespenstische Skulpturen“
Die Vize-Bürgermeisterin von Sant Llorenc, Antonia Bauza, sprach von einer „katastrophalen Lage“. „Das Wasser war nicht unter Kontrolle zu bringen, es war dramatisch. Man muss es erlebt haben, um zu wissen, wie schlimm es war. Unsere Priorität ist es, Überlebende zu finden und Leute zu retten, die zu Hause festsitzen.“
Sieben Landstraßen waren am Mittwochnachmittag nach Angaben der Behörden noch unbefahrbar, einige Ortschaften ohne Strom- und Wasserversorgung und von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten. Überall entwurzelte Bäume, heruntergerissene Stromleitungen und Verkehrsschilder, zerstörte Häuser und Felder, umgekippte und aufeinandergetürmte Fahrzeuge. Ein TV-Reporter vor Ort sprach von „gespenstischen Skulpturen“.
Ministerpräsident Pedro Sanchez flog auf die Insel, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Dabei lobte er vor allem die unermüdliche Arbeit der Einsatzkräfte und versprach, dass die Regierung der Region helfen werde, die zerstörten Gebiete wiederaufzubauen. Auch das spanische Königshaus sprach den Betroffenen via Twitter seine Solidarität aus.
Nadal gewährt Unterkunft und hilft beim Aufräumen
Ein Feuerwehrmann, der in der Nacht in den betroffenen Gebieten im Einsatz war, sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass die Menschen auf Bäumen und Dächern saßen. „Der Zugang mit dem Feuerwehrwagen war schwierig, so dass wir meist mehrere Versuche unternehmen mussten, um an die Menschen heranzukommen.“ Dutzende Häuser mussten evakuiert werden. Rund 200 Menschen verbrachten die Nacht in Sportanlagen der Stadt Manacor, unter anderem in einer Anlage des aus Mallorca stammenden Tennis-Weltstars Rafael Nadal, „Trauriger Tag“, twitterte Nadal, der bei den Aufräumarbeiten mithilft.
Unwetter mit Überschwemmungen gab es in Spanien auch in Katalonien im Nordosten sowie in der Provinz Malaga im Süden des Landes. Auf Mallorca hatte es schon seit Montag sehr heftig geregnet, ortsweise auch gehagelt. Durch das Unwetter kam es laut Medien zeitweise auf dem Flughafen Palma zu Verzögerungen. In der Hauptstadt und auch am „Ballermann“ östlich von Palma war die Lage aber weitgehend normal. (dpa, TT.com)