Bayern-Wahl

Bayern wählt: Ältere Herren mit Joppe und ein Saudirndl

Die Bayern wählen am Sonntag einen neuen Landtag und könnten dabei einiges im Parteiengefüge auf den Kopf stellen. Der CSU mit Ministerpräsident Markus Söder droht ein Debakel.
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Warum so manche in der CSU damit spekulieren, am Sonntag gleich zwei Parteigranden loszuwerden. Und wie eine Grüne Traditionsbewusste im Freistaat entsetzt. Ein Stimmungsbild aus Oberbayern und Schwaben.

Von Gabriele Starck

Oberbayern, Augsburg – Wie eine Seifenblase platzt die Idylle am Wörthsee mit den plauschenden Steinebachern am CSU-Wahlkampfstand, als ein älterer Herr auftaucht. „Dieses Mal nicht. Solange Horst Seehofer Parteichef ist, werde ich euch nicht mehr wählen“, schimpft er. CSU-Abgeordnete Ute Eiling-Hütig reagiert routiniert, bekommt sie das und Ähnliches bei ihren Wahlkampfauftritten doch ständig zu hören.

Plausch am CSU-Wahlkampfstand am Wörthsee.
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Doch dass die promovierte Althistorikerin betont, inhaltlich hinter Seehofer zu stehen, schließt ihr Aber bereits mit ein. Sie hätte sich schon mehr Zurückhaltung vom Bundesinnenminister gewünscht. Das, was da in Berlin passiere, „schadet uns wahnsinnig“, gesteht sie dem Abtrünnigen – in der Hoffnung, den Mann noch umzustimmen oder ihm zumindest die Erststimme abzuluchsen. Denn das bayerische Wahlsystem unterscheidet sich von dem der Bundestagswahl. Hier wird die Erststimme für den Stimmkreiskandidaten auch für dessen Partei gezählt, was diesem Kreuzerl mehr Gewicht verleiht als auf Bundesebene. Vielen Wählern ist das aber nicht bewusst.

Die Wahlkämpferinnen unter dem CSU-Sonnenschirm setzen noch eines drauf und machen kein Hehl daraus, dass sie keine Fans des Franken Markus Söder sind. Sie hätten die lange als Kronprinzessin gehandelte Oberbayerin Ilse Aigner viel lieber als Ministerpräsidentin gesehen, sagen sie. Jemand murmelt sogar: „Und wer weiß, was nach dem 14. ist ...“

Dass der „Dieses-Mal-nicht-CSUler“ dennoch am 14. Oktober „erstmals grün wählen“ will, löst bei einer lokalen Wahlkämpferin empörtes Schnauben aus. „Das ist sooo schlimm. Ich versteh’ das nicht.“ Diese Grünen wüssten ja gar nicht, wie der Ort funktioniere, beklagt sie die „vielen Zuagroasten“ – so als zerstörten diese ihre heile Welt.

Jung, frech und unverschämt

Grün – das gefällt auch Eiling-Hütig nicht. Deren Spitzenkandidatin Katharina Schulze benehme sich im Landtag unmöglich, sagt sie. Jung, frech, unverschämt – eine Zuordnung, die immer wieder kommt, wenn von der Grünen die Rede ist. Dabei würde sich die CSUlerin ja auch mehr jugendliche Spritzigkeit in ihrer Partei wünschen. Das Image „vom alten Herrn mit Joppe und Weißbier“ werde man einfach nicht los, beklagt Eiling-Hütig.

So oder so, sie mag gar nicht an eine Regierungsbeteiligung der Grünen denken, die in Umfragen zuletzt bis auf 18 Prozent geklettert sind, während die jahrzehntelang allein regierende CSU von 47,7 Prozent (2013) auf rund 35 Prozent abstürzte. Träfe dies ein, wäre Schwarz-Grün die einzige Zweierkoalition, die nach dem Wahlsonntag überhaupt möglich ist. Denn mit den Wunschpartnern, den Freien Wählern – eine konservative Variante der CSU – oder der FDP, reicht es nicht für ein Duett. Und eine Zusammenarbeit mit der rechtsnationalen AfD, die zuletzt in den Umfragen wieder etwas verloren hat, kommt nicht in Frage. Da ist man sich bayernweit über alle Parteigrenzen hinweg einig.

Dennoch hält die CSU-Abgeordnete am Partei-Narrativ fest, dass die weitaus meisten Fahnenflüchtigen zur AfD abwandern. Vielleicht, weil alles andere einem Eingeständnis gleichkäme, dass es ein Fehler war, lange nur auf das Ausländer-Thema und einen weiteren Rechtsruck zu setzen. Eiling-Hütig, als gebürtige Westfälin selbst a Zuagroaste – „aber ich hab’ denselben Dickschädel wie die Bayern“ –, sieht die schwindende Zustimmung zur CSU aber auch im Wohlstand begründet. „Weil gewisse Dinge, die sehr gut laufen, selbstverständlich geworden sind. Wenn alles stimmt, kann das Unzufriedenheit erzeugen. Dann sucht man Dinge, die nicht laufen.“

Nähe zu Tirol gewünscht

Die haben die Grünen in Garmisch-Partenkirchen für sich schon entdeckt. Der öffentliche Nahverkehr und die Zusammenarbeit mit Tirol gehörten verbessert, sagen sie. „Wir können keine Politik machen, die an der Grenze aufhört“, meint auch André Göllrich von der FDP am Infostand gleich nebenan. Dass dies die Wahlkämpfer im bayerischen Inntal, wo Bürgerinitiativen gegen die Zulaufstrecke zum Brennerbasistunnel aufmarschieren, nicht ganz so sehen, sei dahingestellt. Hier jedenfalls wünscht man sich mehr Verbindung mit Tirol, etwa die Wiederaufnahme des Gratis-Zubringers zur Zugspitz-Arena in Ehrwald.

Die Zusammenarbeit mit Tirol gehört verbessert, sagen die Grünen.
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Die Grünen hier sind optimistisch, selbst wenn man sich in der Frage, ob man mit der CSU in eine Regierung soll, noch nicht ganz grün ist. Die Zeiten hätten sich geändert. Früher seien derbe Worte gefallen, wenn man sich zu erkennen gab, erzählen sie. Inzwischen käme viel Zuspruch, sagt Landtagskandidat Hans Urban, während er einer Frau einen Folder hinhält. „Euch wähl ich eh“, sagt diese wie zur Bestätigung. Als Göllrich der Frau auch Infomaterial – von der FDP – geben will, ruft Urban: „Lass des! Des bringt nix.“ „I gib nit auf“, erwidert der Freie Demokrat, muss aber zugeben, dass es schwierig ist für die FPD. Man sei schon froh, dass die Umfragen den Einzug in den Landtag vorhersagen. Aber immerhin arbeite man hier im Kreis gut zusammen – alle gegen die CSU, laute das Motto.

Weder Grün noch Gelb fällt in dieser trauten Einigkeit der Fischhändler auf, der im Standl vier Meter weiter sitzt und geräucherte Forellen filetiert. Ihn interessiert der Wahlkampf nicht, er werde sowieso für die AfD stimmen. Nein, nicht aus Protest, sagt er: „Sie hat eine Chance verdient.“ Und nein, er sei kein Nazi. Ihm könne keiner erzählen, dass acht Millionen AfD-Wähler eine Randgruppe oder Nazis seien.

Diesmal stören die anderen

Er ist sauer auf die Etablierten, die „immer nur reden“. Was ihn erzürnt, kann er nicht so richtig festmachen. Ja eh, Hunger leiden müsse niemand in Deutschland, aber „es gibt auch riesig viele, denen es dreckig geht“. „Dann frag einmal einen, der im Mittelmeer ersauft“, fällt ihm der Speckhändler aus dem Passeiertal ins Wort: „Aber es liegt wohl in der Natur der Menschen, dass sie nie zufrieden sind.“ Der Fischverkäufer schaltet einen Gang zurück. „Ich bin ja selber nicht so unzufrieden.“ Mit Mietshäusern und einer Eigentumswohnung sei er ohnehin nicht auf Rente angewiesen.

AfD-Sympathisanten in Rosenheim.
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Auf solche Diskussionen wollen sich AfD-Sympathisanten in Rosenheim wohl gar nicht erst einlassen. Bei der Kundgebung ein paar Tage zuvor sind es nicht einmal 40 Personen, die sich in den abgesperrten Bereich vor der Bühne trauen und sich damit als AfD-Anhänger zu erkennen geben. Vielleicht liegt es auch am fehlenden Zugpferd – die Partei konnte sich auf keinen landesweiten Spitzenkandidaten einigen.

Sehr viel größer ist die Zahl der Demonstranten, die – durch eine Phalanx an Polizisten von der AfD getrennt – mit ihren Stimmen, mit Tröten und einer Trompete gegen die Parolen auf der Bühne ankämpfen. Szenerie und Lärm erinnern an die CSU-Veranstaltung vor einem Jahr, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Bundestagswahl hier stand und um Unterstützung für die CSU warb. Nur dass es 2017 die AfD und etliche Rechtsextreme waren, die mit Gebrüll die Lautsprecher übertönten. Während Merkel damals unverdrossen weitersprach, lassen die AfDler keine Minute vergehen, in der sie nicht „den Linksextremen“, wie sie die bunt zusammengewürfelten Demonstranten nennen, umdemokratisches Verhalten vorwerfen und ihnen sogar drohen. An ihren eigenen Störauftritt vor einem Jahr wollen die Anhänger, von denen sich einige unter die Zaungäste gemischt haben, nicht erinnert werden. Einer von ihnen bekennt sich dafür ganz klar zur AfD. „Ich steh’ dazu und jeder in meiner Firma gibt mir Recht.“ Merkel müsse weg, weil sie dem Staatsfeind – den Flüchtlingen – Deutschland ausgeliefert habe.

Schwarz und Rot reicht doch

Ein 80-jähriger eingefleischter CSU-Wähler, der das Geschehen aus etwas Entfernung verfolgt, hadert derweil damit, dass es so viele Parteien gibt. Schwarz und Rot wie einst, das würde doch völlig reichen. Tatsächlich sind es bayernweit zwölf, insgesamt sogar 18 Listen, die am Sonntag um den Einzug ins Maximilianeum, den Sitz des Landtags, kämpfen. Die Roten spielen allerdings kaum eine Rolle. „Es ist nicht leicht, hier zu stehen“, gibt ein SPD-Wahlkämpfer am Wochenmarkt in Peiting am Ammersee ganz offen zu: „Man bekommt viel Mitleid zu hören.“ Das, was in Berlin ablaufe, sei allein schuld an den Umfragewerten, betont er.

Der 80-jährige CSUler in Rosenheim sieht das wohl ähnlich. Dabei wünschte er sich so das alte Feindbild SPD zurück, wenn er an die Grünen denkt: „Die sind ein rotes Tuch für mich und dieses Saudirndl erst.“ Da ist sie wieder, die grüne Spitzenkandidatin, die traditionsbewusste Bayern schaudern lässt.

Doch der Versuch, „das Saudirndl“ endlich einmal zu erleben, scheitert erneut. Im TV-Duell gegen Markus Söder musste ihr Kollege Ludwig Hartmann ran, weil Schulze nach bayerischem Recht mit ihren 33 Jahren zu jung ist, um Ministerpräsidentin zu werden. Söder konnte es recht sein, denn Hartmann mit seiner hektischen Art zu sprechen kommt im Vergleich zum wortgewaltigen Ministerpräsidenten unsicher rüber.

Ludwig Hartmann (Grüne) vertritt Spitzenkandidatin Katharina Schulze.
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Und bei der Kundgebung in München ist Schulze entgegen der Ankündigung wieder nicht dabei, weil sie kurzfristig in Passau einspringen muss. Hier unterstützt der ehemalige Grünen-Chef Cem Ödzemir Hartmann und beantwortet die Fragen des Publikums mit Eloquenz und Schmäh. Dem Baden-Württemberger fliegen immer noch die Herzen zu, sogar in Bayern.

Schweinsbraten mit Rotkraut

Davon kann der Franke Söder in Augsburg nur träumen. Als der Ministerpräsident die Kälberhalle betritt, ist sie natürlich bis auf den letzten Platz gefüllt und selbstverständlich lassen die vornehmlich älteren Männer in ihren Joppen Schweinsbraten mit Rotkraut und Kartoffelknödel einen Moment ruhen, um zu applaudieren.

Ministerpräsident Maruks Söder in der Augsburger Kälberhalle: Der Funke will nicht so recht überspringen.
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Der Funke allerdings will nicht so recht überspringen. Jubel kommt nur auf, als der Ministerpräsident mehr „Dank und Respekt“ vom Rest Deutschlands einfordert, das ja von den Bayern jährlich mit Milliarden über den Finanzausgleich gestützt werden müsse.

Aber wenn dann alle in der Brauhalle die Bierkrüge niederstellen, aufstehen und laut singen „Gott mit dir, du Land der Bayern“, dann ist für kurze Zeit die Seifenblase von der bayerischen Idylle, wie sie früher einmal war, wieder intakt.

Wissenswertes über den Freistaat Bayern

Vielfältiges Bayern. Der Freistaat besteht nicht nur aus Bergen, Dirndl und Lederhose. Dieses Klischee trifft noch am ehesten auf Oberbayern zu, hat aber mit Franken oder der Oberpfalz wenig zu tun. Gerade zwischen den Bayern und Franken herrscht eine große Rivalität, die sich u. a. im Streit darüber ausdrückt, wer die besseren Biere braut. Zudem wird gern vergessen, dass Schwaben nicht immer aus Baden-Württemberg sind. 1,9 Millionen leben in der gleichnamigen Region in Bayern, zu der auch das Allgäu und Augsburg gehören. Und nicht zu vergessen Niederbayern, das bis Tschechien reicht.

Vorzeigeland mit Makeln.

Bayern hat mit 2,8 Prozent deutschlandweit die niedrigste Arbeitslosenquote. Doch nicht alle profitieren von der guten Wirtschaftslage. In den fränkischen Städten Schweinfurt und Hof etwa liegt sie bei knapp sechs Prozent. Und auch die hohen Gehälter in Bayern (mittleres Monatseinkommen: 3345 brutto) kann nicht jeder einstreichen. Auch hier gibt es Kreise in Franken, die dem Lohn im ostdeutschen Cottbus oder Chemnitz entsprechen.

Wohnkosten.

Münchens Mieten sind in ihrer Höhe unübertroffen in ganz Deutschland. Und auch bei den Immobilienpreisen der Großraum um die Landeshauptstadt ganz vorn. Sieben der zehn teuersten deutschen Regionen befanden sich 2017 im Großraum München. Für 242.000 Euro bekam man in der Hauptstadt 41 m2, im Landkreis München 44 m2. Deutschlandweit erhält man im Durchschnitt 126 m2.