Alpenglühen im Faschismus, Schneeschaufeln im Galopp
Gioachino Rossinis „Guillaume Tell“ kann im Theater an der Wien in braver Theaterverpackung nur bedingt packen.
Von Stefan Musil
Wien –Jeder kennt die Ouvertüre, besonders das rasante Finale. Der Rest ist weniger bekannt. „Guillaume Tell“ ist Rossinis letztes Bühnenwerk, als ausladende Grand opéra 1829 in Paris uraufgeführt.
Nachdem das Theater an der Wien in dieser Saison einen Fokus auf den Opernstoff-Lieferanten Friedrich Schiller wirft, passt der „Tell“ perfekt. Klassische Schullektüre. Rossinis Vertonung wird in Torsten Fischers Regie auch noch zum Lehrstück für in die Gegenwart geholtes, deutungswillig beleuchtetes Opernschauspiel. Gleich zur galoppierenden Ouvertüre wird der Schnee von der Bühne (Landebahn?) geschaufelt. Auf der Leinwand dahinter schwebt ein Militärflieger ein. Offenbar kommt der Besatzer, der Gouverneur Gesler. Der tritt natürlich in Faschisten-Uniform auf. Denn es kriselt heftig in der schönen Schweizer Natur, wie sie Rossini so fein ausmalt. Aufstand, Bürgerkrieg drohen, Gesler piesackt die Menschen. Aber auch Tell ist hier nicht nur der Gute, ebenfalls ein Manipulator, einer, der zum Kampf anstiftet, der gerne selbst zur Armbrust greift, um seine konservativen Werte durchzusetzen.
Alpenidylle ist abgesagt in der nüchternen Dekoration von Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos. Eine blendende LED-Leinwand beherrscht den Hintergrund. Kriegsszenarien in Schwarz-Weiß flimmern darauf. Beim Apfelschuss kniet Tells Sohn Jemmy davor, wird effektvoll verdoppelt und vergrößert. Vorne schwebt eine Brücke aus Gitter immer wieder von oben herab. Ein leuchtend roter Grenzbalken weist darauf hin, dass nichts mehr offen und frei ist. Fischer hat sich bemüht, das Stück proper durchzudenken. Nur manchmal, etwa wenn beim Rütlischwur die Recken in weiße Hemden schlüpfen und schwarze Krawatten schwingen, versteht man kaum, was gemeint ist. Unterscheiden sich die Besetzten gar nicht mehr so sehr von den faschistischen Besatzern?
In jedem Fall wurde tüchtig, handwerklich gekonnt theatergearbeitet. Auch ordentlich gestrichen, um auf erträgliche dreieinhalb Stunden zu kommen. Dem Abend hilft das nur bedingt auf die dramatischen Füße. Das liegt vor allem auch am Dirigenten Diego Matheuz, der mit der Partitur stark überfordert scheint. Die Wiener Symphoniker bemühen sich sehr im Graben, doch der Klang bleibt meist etwas trocken und dünn. Auch mit der Koordination hapert es, Matheuz schaut lieber konzentriert in die Partitur, als musikalische Gipfelfeuer zu zünden. Dabei hätte er mit dem Paar Mathilde und Arnold, mit der koloratur- wie höhenfirmen Jane Archibald und dem bombensicher seine Spitzentöne schmetternden John Osborn zwei hervorragende Sänger an der Hand.
Christoph Pohl leiht der weniger dankbaren Rolle des Tell wohlklingend kultivierte Bariton-Statur. Der Bass Edwin Crossley-Mercer ist als Walter Fürst ein klagvoller Mit- und Gegenspieler. Hervorragend auch die junge Lienzerin Anita Rosati, die als Jemmy nicht nur im burschikosen Spiel, sondern auch mit ihrem leuchtstarken Sopran punktet. In gewohnter Souveränität bevölkern die Mitglieder des Arnold Schoenberg Chores diese Schweizer Alpen, die doch deutlich stärker glühen könnten.