Literatur

Jan Costin Wagner: „Schubladen interessieren mich nicht“

Jan Costin Wagner erhält beim Krimifest Tirol das heuer erstmals vergebene TT-Aufenthaltsstipendium.
© Bogenberger

Jan Costin Wagner ist seit 26 Jahren „Halbjahresfinne“ – und widmet sich in seinen Krimis den großen Fragen des Menschseins.

Innsbruck – Denkt man an nordeuropäische Krimis, kommt einem Hakan Nesser in den Sinn. Oder Auflagenkönig Jo Nesbo. Vielleicht denkt man auch etwas wehmütig an den 2015 verstorbenen Henning Mankell. Mit die besten nordischen Kriminalromane kommen derzeit aus Deutschland. 2008 wurde Jan Costin Wagner für „Eismond“, den zweiten Fall des im finnischen Turku ermittelnden Kommissar Kimmo Joentaa, mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Bereits Wagners erster Joentaa-Krimi, „Eismond“ (2003), war für den Book Prize der Los Angeles Times nominiert. Im Rahmen des zweiten Krimifests Tirol erhält Wagner, der heute seinen 45. Geburtstag feiert, das Aufenthaltsstipendium der Tiroler Tageszeitung von 1500 Euro. Morgen, Sonntag, wird er im Innsbrucker Treibhaus seinen jüngsten Roman „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ präsentieren. Lesungen in Wattens (15. Oktober) und Kufstein (16. Oktober) folgen.

Sie stammen aus Hessen, da ist die Stadt Turku im Südwesten Finnlands nicht gerade der nächste Weg.

Jan Costin Wagner: Meine Frau ist Finnin – und ich gewissermaßen Halbjahresfinne. Turku ist seit 1992 meine zweite Heimat. Eine besonders intensiv erlebte Heimat. Ich versuche, mit meinen Romanen dieses Gefühl in Sprache zu bringen. Außerdem ist es mir ein Anliegen, die Emotionen der jeweiligen Geschichte in der Landschaft, in der sie angesiedelt ist, zu spiegeln. Als ich die Figur, aus der Kimmo Joentaa geworden ist, entwickelt habe, habe ich sie ganz instinktiv in Finnland verortet.

Joentaa ist ein Trauernder. Bereits im ersten Kapitel des ersten Romans verliert er sein Frau. Ist Finnland ein trauriges Land?

Wagner: Nein. Aber es ist ein Land, mit dem ich intensive Erfahrungen verbinde. Ich trage Finnland im Herzen, so wie Kimmo seine Sanna. Diese Gleichzeitigkeit von größtmöglichem Glück und Unglück interessiert mich.

In Ihrem aktuellen Roman „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ tritt die Krimihandlung in den Hintergrund. Ist das Genre nur ein Vorwand, um ganz andere Geschichten zu erzählen?

Wagner: Als Autor interessieren mich solche Schubladen nicht. Ich will meine Geschichte möglichst gut erzählen. Auch als Leser denke ich nicht darüber nach, welches Etikett dem Buch umgehängt wird. Am Kriminalroman interessiert mich das Grundsätzliche: Die Sehnsucht des Ermittlers, etwas in Ordnung zu bringen. Der Umgang eines Schuldigen mit seiner Schuld. Das sind große menschliche Fragen, denen ich sprachlich gerecht werden möchte.

In Innsbruck werden Sie mit dem finnischen Autor Antti Toumainen auftreten, dessen Roman „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ sie übersetzt haben. Welche Rolle spielt das Übersetzen für Sie?

Wagner: Zunächst einmal ist es eine beglückende Erfahrung, weil ich es zusammen mit meiner Frau Niina Katariina tun kann. Unser Anspruch ist es natürlich, dem Originaltext möglichst gerecht zu werden, nicht nur inhaltlich, auch was die sprachliche Umsetzung angeht. Wenn ich ehrlich bin, muss ich auch zugeben, dass es ziemlich angenehm ist, sich nichts ausdenken zu müssen. Auch, weil ich kein großer Ausdenker bin. Es passiert nicht allzu oft, dass ich eine Idee habe, die mich wirklich überzeugt.

Manche Krimiautoren planen den Plot ihrer Romane ganz penibel. Arbeiten Sie ähnlich?

Wagner: Tatsächlich plane ich wohl weniger akribisch. Aber auch ich muss mich auf sicherem Boden bewegen. Zunächst muss ich für mich klären, was der Kern des Romans ist. Im Fall von „Sakari“ ging es mir um den Umstand, dass Menschen zusehens Gewissheiten verlieren – und verzweifelt versuchen sie zurückzuerlangen. Auch die Entscheidung, den Roman aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen, gab mir die nötige Struktur. Sobald diese Entscheidungen getroffen sind, kann mich die Sprache aber durchaus auf überraschende Wege führen.

Ohne zu viel verraten zu wollen, das letzte Kapitel von „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ scheint den Abschied von Kimmo Joentaa anzudeuten.

Wagner: Ich gönne Kimmo die Ruhe dieses letzten Bildes. Und bin davon überzeugt, dass man ihn dort ruhig ein bisschen stehenlassen kann. Derzeit bin ich davon überzeugt, dass ich als nächstes ein Buch mit anderen Figuren schreiben werden. Ohne Kimmo und ohne Finnland. Aber eine Rückkehr will ich trotzdem nicht ausschließen.

Das Gespräch führte Joachim Leitner

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