Für Kanzler Kurz ist „Reiseflughöhe erreicht“
Der Kanzler bilanziert die vergangenen zehn Monate seiner Regentschaft. Und widmet sich intensiv keinem klassischen ÖVP-Thema.
Von Karin Leitner
Wien – Gerade erst war er als Wahlhelfer der CSU in München zugange, nun ist Sebastian Kurz im Wiener Uniqa Tower im Kreise seiner Getreuen – um auf das zurückzublicken, was sich seit der Wahl in Österreich vor einem Jahr getan hat. Für die ÖVP hat es am 15. Oktober 2017 Erfreuliches gegeben – mit 31,5 Prozent Platz eins, hernach das Kanzleramt in einer Koalition mit den Freiheitlichen.
An diesem Samstag feiert die ÖVP nicht den Regierungsbund, sondern sich selbst – nach dem Motto: „Die Veränderung hat begonnen.“ Der Symbolik halber sind 365 jener Menschen geladen, die Kurz’ „Bewegung“ im Kampf um Stimmen unterstützt haben. Auch viele ÖVP-Granden sind da – der Nationalratspräsident, Minister, Landeshaupt- und Bündeobleute. ÖVP-Klubchef August Wöginger macht den Einpeitscher. „Wir sind in allen Umfragen über dem Wert der Wahl.“ Das sei primär Kurz zu verdanken. „Er ist der Motor.“ Und Wöginger sagt etwas, das man an diesem Vormittag noch mehrmals hören wird: dass es „keinen Streit“ mehr gebe.
Auch andere preisen den Regierungschef. Vera Russwurm qualifiziert Kurz als „gutaussehenden jungen Politiker“, der auch auf internationalem Parkett „charmant“ unterwegs sei.
Dann ist dieser unterwegs auf die Bühne, um zu den Parteigängern zu sprechen. „Es ist schön zu sehen, dass alle so entspannt dreinschauen“, sagt der ÖVP-Obmann. Und schildert seine Befindlichkeiten kurz vor der Wahl: „Es ist mir furchtbar gegangen. Ich war fix und fertig. Meine Mutter hat mich im Stundentakt angerufen: ‚Willst du etwas essen? Soll ich dir etwas kochen?‘“ Sein Vater habe ihm gesagt: „Auch Niederlagen können den Charakter stärken.“
Kurz kommt zur Zeit nach der Wahl. Die – auf Rang zwei gelandeten – Sozialdemokraten hätten versucht, „mit der FPÖ eine Koalition an uns vorbei zu bilden“, sagt Kurz. Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe aber die ÖVP beauftragt, eine Regierung zu bilden. Der FPÖ danke er ebenfalls – weil sie sich „nicht auf das Geschäft mit der SPÖ eingelassen“ habe.
Der Kanzler kommt zur Jetztzeit: „Es fühlt sich an wie bei einem Flug. Wir haben die Wolkendecke durchbrochen, wir haben die Reiseflughöhe erreicht und sind mit voller Geschwindigkeit unterwegs, um unser Regierungsprogramm umzusetzen.“ Viele erfreue, „dass endlich im Land wieder etwas weitergeht“. Es gebe aber auch Menschen, die befänden, „dass wir etwas zu schnell unterwegs sind, dass das Tempo sehr hoch ist. Diese Sorgen müssen wir auch ernst nehmen.“
Kurz: „Es ist nicht irrelevant, wer hier lebt“
Manche fragten ihn: „Warum beschäftigt ihr euch so intensiv mit der Migration?“ Diesen sage er: „Weil es für ein Land nicht irrelevant ist, wer hier lebt. Zuwanderung verändert alles.“ Werde diese „nicht gesteuert, dann ist diese Veränderung nicht zum Guten“. In den vergangenen zehn Monaten sei stets das gemacht worden, „was wir im Wahlkampf versprochen haben. Und so wird es auch weitergehen.“
Kurz skizziert einige Vorhaben. Wohl um den Vorhalt vieler zu entkräften, seine Regierung agiere mit „sozialer Kälte“, widmet sich Kurz intensiv Sozialem. „Jeder von uns wird älter, jeder kann in eine Notsituation kommen. Und jeder, auch wenn er noch so stark ist, ist irgendwann auf Hilfe und Unterstützung angewiesen.“ Es sei „entscheidend, dass wir eine Gesellschaft sind, die ein soziales Netz bietet, das da ist, wenn man es braucht. Die Stärke unserer Gesellschaft zeigt sich vor allem daran, wie wir mit unseren Schwächsten umgehen.“ Das „soziale Netz“ sei eine der größten Errungenschaften Österreichs und „unsere christlich-soziale Verantwortung“, konstatiert Kurz – und erzählt von seiner Großmutter. Er habe in seiner Familie erlebt, wie es sich anfühle, wenn ein Mensch, der immer alles für alle gemacht hat, „schlagartig selbst auf Hilfe angewiesen ist. Ich bin heilfroh, dass meine Oma gut versorgt ist“; er wisse aber, dass nicht alle dieses Glück hätten.
Er habe deshalb die Regierungskoordinatoren gebeten, mit der Sozialministerin bis Jahresende ein Pflege-Papier vorzulegen: „Wir werden diese Lücke schließen.“ Eine nachhaltige finanzielle Lösung sei zu finden, „um die unwürdigen Finanzdebatten in diesem Bereich zu beenden“.
„Tun genau das, was wir im Wahlkampf versprochen haben“
45 Minuten lang redet Kurz. Immer wieder sagt er: „Wir tun genau das, was wir im Wahlkampf versprochen haben.“ Immer wieder spricht er von „Veränderung“, die notwendig sei. „Und wo es Veränderung gibt, da gibt es manchmal Reibung.“ Mitunter wollten Leute von ihm wissen, ob er „überhaupt mitkriege, was die über euch sagen“ (wer „die“ sind, sagt Kurz nicht). Er repliziert: „Ja, ich kriege es mit. Nein, es freut mich nicht.“ Aus dem Konzept bringen lasse er sich trotzdem aber nicht. Diese Ansage des „Kapitäns“ (Wöginger) konveniert den türkisen Flugpassagieren.