Literatur

Håkan Nesser: „Ich mag absolute Brutalität nicht“

Einige frühe Erzählungen von Håkan Nesser (68) kommen als Film-Trilogie auf die Kino-Leinwand
© Caroline Andersson

Der schwedische Krimiautor Håkan Nesser im Interview über seine neue Film-Trilogie. Am 26. Oktober startet mit „Intrigo – Tod eines Autors“ der erste Film im Kino.

Der Kinofilm ist ein neues Gebiet für Sie?

Håkan Nesser: Von dem ich keinerlei Ahnung habe. Die Initiative kam von Daniel Alfredson, der zwei der drei Teile der „Millennium“-Trilogie inszeniert hatte. Erst sollte es nur ein einziger Film werden, die Idee, auch hier eine Trilogie in Angriff zu nehmen, stammt von ihm, und bei ihm wusste ich mich in den besten Händen.

Sie waren ursprünglich Gymnasiallehrer für Englisch und Schwedisch. Wann und warum haben Sie das aufgegeben?

Nesser: Nachdem meine ersten Bücher erschienen waren. Da war ich 48 und ich dachte: Für die Schüler sind junge Lehrer besser als alte. Außerdem: Wenn ich gewollt hätte, hätte ich jederzeit wieder zurückkehren können.

Was aber nicht mehr nötig war. Welches Buch hat bei Ihnen ursprünglich den Wunsch ausgelöst, es selbst mit dem Schreiben zu versuchen?

Nesser: Das war „Wie ein Reisender in einer Winternacht“ vom gebürtigen Kubaner und Wahl-Italiener Italo Calvino. Ein großartiges Werk, und nach der Lektüre fragte ich mich: Kann ich auch so gut schreiben? Kann ich natürlich nicht, denn Calvino war ein Genie.

Wie viele Exemplare haben Sie von Ihrem ersten Buch verkauft?

Nesser: Nur 75. Aber es wurde bekanntlich besser.

Was ist für Sie beim Schreiben grundsätzlich wichtig?

Nesser: Du brauchst eine gute Story und den richtigen Weg, sie zu erzählen. Möglichst sollte man die Story nicht schon vorher mehrmals und in verschiedenen Varianten gelesen haben. Und ich habe mir vorgenommen: Schreib keine Geschichte, die du selbst nie lesen würdest.

Wie verläuft Ihr Schreibprozess üblicherweise?

Nesser: Am Anfang steht natürlich die Idee. Wenn ich beginne, muss ich noch gar nicht die ganze Geschichte wissen. Das ist auch lustiger. Ich lasse mich gerne von mir selbst überraschen. Ich weiß, viele Schriftsteller kennen bereits am Anfang das Ende. Ich nie. Das Buch soll natürlich ein besonderes Erlebnis für den Leser sein. Nicht für den Schreiber. Als ich noch Lehrer war, bekam ich viele gute Ratschläge. Darunter: Der Anfang ist immer kompliziert. Nachher wird es noch komplizierter. Und je näher das Ende rückt, umso hilfloser wirst du. Habe ich alles hinter mir.

Überwiegt heute die Routine?

Nesser: Nein. Vielleicht hätte ich es gerne à la: gut frühstücken und dann täglich drei bis vier Stunden schreiben. Ich versuche, das seit 25 Jahren aufzubauen, aber ich habe es bis heute nicht geschafft. Ein Vorteil ist: Ich schreibe sehr schnell. Schneller, als ich lesen kann. Begonnen habe ich immer mit der Hand, bis ich so weit war, dass ich meine Handschrift nicht mehr lesen konnte.

Die bekanntesten Figuren Ihrer Krimis sind Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti. Welcher Thriller hat Ihnen im Kino am besten gefallen?

Nesser: Hitchcocks „Die Vögel“. So viele gefährliche Vögel! Da habe ich mich, damals war ich noch ein Jugendlicher, sehr gefürchtet. Und beim Heimgehen sah ich sie dann überall auf den Bäumen sitzen. Da war ich noch erschrockener als im Kino.

Sind Sie ein eifriger Kino­geher geblieben?

Nesser: Was glauben Sie, wo ich stehle? Im Kino und aus anderen Büchern, das nennt man dann „Recycling“.

In Ihren Romanen bevorzugen Sie die feine Klinge?

Nesser: Ich versuche, realistisch zu sein. Die Wirklichkeit ist nicht realistisch, sondern oft unglaublich grausam. Denken Sie an den Mord in diesem dänischen U-Boot an einer Journalistin und die Zerstückelung ihrer Leiche. Wenn ich das in einem Buch geschrieben hätte, hätten die Leser empört gesagt: Der ist verrückt! So was gibt es nicht! Ich persönlich mag absolute Brutalität nicht. Ich mag sie nicht sehen und nicht darüber schreiben. Ich hätte auch Horror davor, würde jemand ein Verbrechen aus meinen Büchern nachahmen. Daher findet Gewalt bei mir nur zwischen den Zeilen statt.

Haben Sie die Dreharbeiten zu „Intrigo“ besucht?

Nesser: Zweimal. Einmal, um mit dem Hauptdarsteller Benno Fürmann zu plaudern, und dann war ich noch am letzten Drehtag dort.

Hatten Sie nicht auch einen Kurzauftritt im Film?

Nesser: Ja, in einer Szene, die in einer Bibliothek in Antwerpen spielt. Da zeigte sich, dass ich als Schauspieler total unbegabt bin. An dieser Szene, die im Film einige Sekunden dauert, mussten sie wegen mir vier Stunden drehen.

Und wie hat es Ihnen am Filmset generell gefallen?

Nesser: Filmen ist so kompliziert. Ich bin schon beim Zusehen fast krank geworden. Da habe ich mich lieber auf einen Kaffee zurückgezogen.

Wenn Sie rückblickend all Ihre Arbeiten betrachten: Welche war die anstrengendste?

Nesser: Meine Arbeit an einem Musical in der Schule. Das Hauptproblem war: Wir hatten 150 Schüler, die mitspielen wollten. Es gab aber nur 120 Rollen. Die Frage war: Wie bringe ich trotzdem alle unter? Das war ganz, ganz schwierig.

Wer sind Ihre strengsten Kritiker?

Nesser: Meine Frau Elke und mein Hund. Wenn ich dem Hund vorlese und er verlässt trotzdem den Raum, dann weiß ich: Es war nicht gut. Manchmal füttere ich ihn vorher, damit er länger bleibt.

Können Sie schon etwas über Ihr nächstes Buch erzählen?

Nesser: Gewiss. Es heißt „The Left Handed Club“, und die Kriminalisten Van Veeteren und Barbarotti werden erstmals gemeinsam ermitteln.

Das Interview führte Ludwig Heinrich