Schlachtross der Opernopulenz: „Les Troyens“ an der Staatsoper
Wien (APA) - So stellen sich viele Menschen Oper vor: Eine Materialschlacht der Extraklasse, riesige Bühnenbilder, kitschige Bildwelten, die...
Wien (APA) - So stellen sich viele Menschen Oper vor: Eine Materialschlacht der Extraklasse, riesige Bühnenbilder, kitschige Bildwelten, die auf romantische Melodien, großen Orchestersound, vielstimmiges Drama treffen. „Grand Opera“ eben. In diesem Fall sei ein Besuch der Wiener Staatsoper angeraten: Mit „Les Troyens“ von Hector Berlioz hat das Haus seit gestern, Sonntag, ein wahres Schlachtross im Rennen.
Und zwar im übertragenen, aber auch im ganz konkreten Sinne: Die britische Designerin und Bühnenbildnerin Es Devlin - in Österreich kennt man sie etwa von der „Carmen“ der Bregenzer Seebühne - hat für die Inszenierung von David McVicar eine imposante Bühne entworfen, deren Zentralstück im ersten Teil ein riesengroßes trojanisches Pferd ist. Seine raffinierte Konstruktion aus metallenem Kriegsmaterial beeindruckt dabei mehr als seine Funktion im Plot - was für die gesamte üppige Deko des fünfstündigen Opernabends gilt. McVicars erzählerische Pranke setzt auf traditionelles Figurenarrangement vor einer dicken Szene und verzichtet dabei bereitwillig auf Ausleuchtung von Charakteren oder Narrativen.
Es ist ein Antikendrama um Krieg, Liebe und Freitod - frei nach Vergils Aeneis. Berlioz packte die epischen Ausmaße der Geschichte und ihrer emotionalen Extreme in eine größenwahnsinnige Partitur, codierte darin Weissagung und Untergang, vollumfängliche Zerstörung von Völkern und einzelnen Herzen, göttliche Rache und verschmähte Liebe. Er fand dafür aber keine gut lesbare Erzählform. Nicht zuletzt wegen ihrer dramaturgischen Schwächen, sowie natürlich aufgrund der puren quantitativen Anforderungen an Chor, Ballett, Statisterie und Solisten gilt das Stück als quasi unspielbar. Eine Muskelschau für ein großes Haus, das sich Covent Garden, Mailänder Scala, San Francisco Opera und Wien gemeinsam leisteten. 2012 feierte die Produktion in London Premiere.
Sie bleibt ein Kuriosum, wahnwitzige Bilder einer albtraumhaften Nacht. McVicar versetzt sie optisch in die Entstehungszeit der Oper in die Mitte des 19. Jahrhunderts, was zwischen Antike und Gegenwart nicht Fisch und nicht Fleisch ist, sondern vor allem eine sichere Bank. Dido und Aeneas (Joyce DiDonato und Brandon Jovanovich) dürfen sich da im Märchen aus 1001 Nacht durch harmlose Balletteinlagen ihr Liebesspiel versüßen lassen und Trojanerkönig Priamos darf zum Kriegspielen schicke Epauletten ausführen.
Das gefällt, denn damit sagt man uns auch: Man muss das alles nicht so ernst nehmen. Hat ja nichts mit uns zu tun, dieser niemals enden wollende Krieg. Oder vielleicht doch? Irgendwann gegen Ende fällt ein schwarzer Vorhang und deckt das Tamtam zu. Davor steht Joyce DiDonato und verfällt mit einer Inbrunst und unmittelbaren Sangeskunst dem Wahnsinn, dass, zumindest einige Minuten lang, auch etwas für jene Besucher dabei ist, die sich Oper eben genau so vorstellen: Als verdichteter Inbegriff emotionaler Wahrhaftigkeit, für den es außer einer tollen Sängerin eigentlich gar nichts braucht.
Dass der Nachmittag und Abend musikalisch weder langweilig noch heillos überfrachtet wurde, ist aber nicht nur der fabelhaften DiDonato zu danken, sondern vor allem Alain Altinoglu. Mit dem Orchester modellierte er eine vielschichtige, lebhafte Erzählung, die nicht mit Schmelz geizte, ohne einen dicken Schinken zu produzieren und sich eines wohltuend zurückgenommenen Volumens befleißigte. Den um den Slowakischen Philharmonischen Chor erweiterten Staatsopernchor hätte man dagegen mitunter gerne etwas abgedämpft. Und über die Balletteinlagen sei besser geschwiegen.
Den überschwänglichen Jubel des Premierenpublikums durfte am Ende nicht nur Joyce DiDonato über sich schwemmen lassen. Die Partie der tragischen Didon meisterte die US-Mezzosopranistin mit großer Noblesse und direkter, ungekünstelter Dramatik. Auch Brandon Jovanovich als Enée (Aeneas) brachte es mit unerschütterlicher Präsenz zum Fixstern des Abends. Neben lobenswerten Auftritten von Jongmin Park, Benjamin Bruns, Szilvia Vörös und Adam Plachetka machte sich aber vor allem Ensemblemitglied Monika Bohinec um heftige Akklamation verdient.
Wie der Staatsoperndirektor vor Vorstellungsbeginn verkündete, hatte die Sopranistin erst am Vormittag erfahren, dass sie nach der Generalprobe auch in der Premiere für die erkrankte Anna Caterina Antonacci als Cassandre einzuspringen hatte. Die große, exponierte Partie der düsteren Seherin, die Troja umsonst vor dem Untergang warnt und dann zur Anführerin einer Massenselbstmord-Bewegung wird, müsste für eine Einspringerin eher Fluch als Segen sein - Bohinec absolvierte den Parforceritt allerdings mehr als souverän. „Grand Opera“ - das bedeutet eben auch: Viel aufs Spiel setzen. Die Wiener Opernflotte ist jedenfalls siegreich geblieben.
(S E R V I C E - „Les Troyens“ von Hector Berlioz. Regie: David McVicar, Dirigent: Alain Altinoglu, Bühne: Es Devlin. Mit Joyce DiDonato, Brandon Jovanovich, Adam Plachetka, Monika Bohinec, Jongmin Park, Szilvia Vörös. Weitere Termine am 17., 21., 26. Oktober und 1., 4. November. www.wiener-staatsoper.at)