Pressestimmen zu angekündigtem US-Ausstieg aus INF-Abrüstungsvertrag
Washington (APA/dpa) - Internationale Zeitungen kommentieren am Dienstag den angekündigten Ausstieg der USA aus dem Atomwaffensperrvertrag I...
Washington (APA/dpa) - Internationale Zeitungen kommentieren am Dienstag den angekündigten Ausstieg der USA aus dem Atomwaffensperrvertrag INF:
„Handelsblatt“ (Düsseldorf):
„Verträge sind dazu da, um gekündigt zu werden! Das ist offenbar die Leitmaxime des Handelns von US-Präsident Donald Trump. Genüsslich zerfetzt er eine Vereinbarung nach der anderen, die seine Vorgänger geschlossen haben, seien es bilaterale Handelsabkommen, Verträge mit der Uno oder auch Konventionen, die der globalen Sicherheit dienen, wie zuletzt beim Iran-Deal. Damit lässt Trump im Fundament der internationalen Beziehungen praktisch keinen Stein auf dem anderen. Die Außerkraftsetzung des Atomwaffensperrvertrags INF, der der Begrenzung von atomaren Mittelstreckenraketen dient, ist eine weitere Kraftprobe. Das Problem dabei: Trump nimmt damit kalt lächelnd in Kauf, dass in Europa tatsächlich kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Denn die Gefahr wächst in erster Linie für die Europäer.“
„Neue Zürcher Zeitung“:
„Mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine ist Putin zu einer äusserst aggressiven Außenpolitik übergegangen, ohne sich dabei um westliche Interessen zu kümmern. Nuklear bestückte Mittelstreckenraketen, gerichtet auf die Hauptstädte in der Nachbarschaft, wären einfach eine weitere Eskalationsstufe. Ein amerikanischer Austritt aus dem INF in dieser Situation ist indes riskant. Er würde Moskau erst recht freie Hand gewähren, zu einem Zeitpunkt, in dem die USA noch nicht über ein äquivalentes Mittelstreckensystem verfügen. Zudem wäre fraglich, ob eine Stationierung solcher Systeme in Europa, in Japan oder Südkorea politisch machbar sein wird. Washingtons vorrangiges Ziel hätte es deshalb sein müssen, gemeinsam mit Moskau den INF wieder auf eine solide Grundlage zu stellen, um danach mit vereinten Kräften auch China, Indien oder Pakistan in das Vertragswerk einzubinden.“
„Times“ (London):
„Der Nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, wird dem Kreml bei seinem Besuch in Moskau in dieser Woche sagen, dass die Vereinigten Staaten darüber beunruhigt sind, dass sie von Russland hintergangen werden. Er wird sagen, dass Moskau den INF-Vertrag verletzt, während China ohne Behinderung durch irgendeinen Vertrag neue Raketensysteme entwickelt, und dass allein die USA sich an Buchstaben und Geist des INF-Vertrages halten. Doch anstatt diesen Vertrag aufzukündigen, sollte Bolton Moskau drängen, sich an dessen Bestimmungen zu halten. Er sollte versprechen, dass die USA das ebenfalls tun werden. Und er sollte zugleich vorschlagen, dass beide - trotz aller Differenzen, die Putin mit Washington hat - gemeinsam darauf hinwirken, China in ein auf Regeln beruhendes System einzubinden. Das würde die Welt wahrscheinlich sicherer machen.“
„De Standaard“ (Brüssel):
„Auch (der russische Präsident Wladimir) Putin hat bereits gesagt, dass der INF-Vertrag veraltet sei. Er hindere Russland daran, Mittelstreckenraketen zu entwickeln, mit denen es sich vor China schützen könnte. Das China-Argument ist ebenfalls in den USA zu hören. Auch die Amerikaner wollen sich gegen ein immer expansiveres China bewaffnen dürfen. China ist kein Partner des INF-Vertrages und kann daher ungehemmt in solche Waffenarten investieren. Doch solche geopolitischen strategischen Erwägungen finden in Brüssel wenig Beifall, denn die europäischen Länder befürchten vor allem, dass sie das erste Ziel der russischen Raketen wären.“
„de Volkskrant“ (Amsterdam):
„Russlands Präsident Putin selbst hat bereits mehrmals gedroht, den Vertrag zu kündigen. (...) Er betrachtet ihn als Relikt aus dem von Russland verlorenen Kalten Krieg. Und als ein Dokument, das ihn daran hindert, auf neue nukleare Waffen aus anderen Ländern zu reagieren. Letzteres hat für Putin in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Ringsum Russland sind immer stärkere Atommächte entstanden. Die potenzielle nukleare Bedrohung kommt von den Nachbarländern Nordkorea und China, aber auch vom Iran, Pakistan, Indien und Israel. Sie unterliegen nicht den Beschränkungen des INF-Vertrages, der landgestützte (nukleare) Kurz- und Mittelstreckenraketen verbietet. China kann in aller Ruhe Atomraketen mit einer Reichweite von bis zu 5.500 Kilometern entwickeln.“
„El Pais“ (Madrid):
„In seiner systematischen Politik der Zerstörung des in der Welt seit dem Ende des Zeiten Weltkrieges aufgebauten Gewebes der internationalen Beziehungen hat US-Präsident Donald Trump jetzt die schlimmsten Befürchtungen seit seinem Einzug ins Weiße Haus im Jänner 2017 übertroffen (...) Trump hat eine Pandora-Büchse geöffnet, die nach Jahrzehnten voller Sorgen vor einem nuklearen Konflikt nur mit sehr viel Mühe geschlossen oder zumindest unter Kontrolle gehalten worden war. Amerika kann in einer unsichereren Welt nicht größer werden.“
„Pravda“ (Bratislava):
„Gerade die Argumentation gegenüber Russland ist unverantwortlich und unvernünftig. Sollte nämlich (Russlands Präsident Wladimir) Putin tatsächlich den Vertrag insgeheim verletzen, würde ihm doch Trump mit der Aufkündigung des Vertrags gerade den herrlichsten Vorwand liefern, dies ab nun offen zu tun und sich dabei auch noch als der Friedliebende zu maskieren, der keinen Vertrag gekündigt hat. (...)
Da weder Europa noch die NATO Vertragspartner des Abkommens sind, kommt auch keine Beharrungsstrategie infrage wie beim Atomabkommen mit dem Iran. Die Europäische Union hat auch keine ausreichende Außen- und Sicherheitspolitik, um anstelle der USA selbst ein Abkommen mit Russland zu schließen. Als nächster Schritt ist daher verstärkter Druck Washingtons auf seine europäischen Verbündeten zu erwarten, damit diese ihre Verteidigungsbereitschaft erhöhen - gegen eine Bedrohung, die die USA gerade selbst verursachen.“