56. Viennale - Glaube in Zeiten der Erderwärmung: „First Reformed“
Wien/Hollywood (APA) - Der legendäre US-Drehbuchautor („Taxi Driver“) und Regisseur („Katzenmenschen“) Paul Schrader kehrt zurück mit dem au...
Wien/Hollywood (APA) - Der legendäre US-Drehbuchautor („Taxi Driver“) und Regisseur („Katzenmenschen“) Paul Schrader kehrt zurück mit dem außergewöhnlichen Porträt eines Priesters, der von der Welt desillusioniert ist. „First Reformed“ ist ein Drama, das seiner Hauptfigur die gleiche Frage stellt wie seinem Publikum: Kann Gott vergeben, was die Menschen seiner Schöpfung angetan haben? Am Freitag bei der Viennale.
Der Film beginnt mit einem Kolonialrelikt. Die Kamera fängt eine holländische Reformkirche im Norden New Yorks ein, eine spärlich besetzte Kiste mit einer dünnen Spitze, die in den möglicherweise leeren Himmel ragt. Der Ort hat schon bessere Tage gesehen, ebenso der Pfarrer (Ethan Hawke) darin. Reverend Toller, der sich um vier oder fünf Seelen kümmert, ist ein ehemaliger Militärpfarrer, der nach einer persönlichen Tragödie jetzt für die leere Kirche verantwortlich ist. Im Souvenirladen werden Baseballmützen an Touristen verkauft, und die Orgel funktioniert nicht. Er tut auch sein Bestes, um eine ständig verstopfte Toilette zu reparieren. Gottes Haus ist anscheinend ein Haus wie jedes andere.
Wenn er keine Souvenirs verkauft, trinkt er Whiskey und denkt über seine bittere Existenz nach. Obwohl Toller den Schein aufrechterhält, geht es ihm nicht gut: Sein Bauch tut weh, er uriniert Blut und wenn er sich die Zähne putzt, umspült seine braunrote Spucke seine Zähne. Er beschließt, ein Jahr lang Tagebuch zu führen, seine Gedanken aufzuschreiben und das Buch dann zu verbrennen. Er nennt es ein „Experiment“ und erzählt uns im Voice-over, dass er sich jeden Morgen Gott anvertrauen wird. „Wenn es möglich ist“, stellt er klar. „Wenn er zuhört.“
Die örtliche Gemeinde ist schon lange vor seine Ankunft in eine weitaus größere Kirche der Stadt ausgewandert, vollgestopft mit hochmodernen Großbildfernsehern und Stadionbestuhlung, geführt von Pastor Jeffers (Cedric Antonio Kyles), der gerade dabei ist eine 250-Jahresfeier vorzubereiten. Da trifft Toller die schwangere Mary (Amanda Seyfried), die ihn aus seiner Ohnmacht reißt. Ihr Ehemann Michael ist ein radikaler Umweltaktivist und möchte, dass sie ihr Kind abtreibt, weil er es für verantwortungslos hält, ein unschuldiges Leben in eine Welt zu bringen, die zum Scheitern verurteilt ist. Im Angesicht globaler Erderwärmung, so denkt er, können wir eigentlich nur verzweifeln. Toller ist irritiert, aber gleichzeitig fasziniert. In der Garage versteckt Michael eine Selbstmordweste und er wird den Pfarrer mit seinen Ideen anstecken.
Unterdessen zählt der milliardenschwere Industrielle Edward Balq (Michael Gaston), der die Kirche mit Spenden finanziert, zu den schlimmsten Umweltsündern der Welt, und Toller fühlt sich zunehmend außerstande, diese unheilige Ehe zwischen Religion und Kapitalismus zu ignorieren. Er zerfällt mehr und mehr - eine Metapher für den erbärmlichen Zustand der Welt.
Paul Schrader, inzwischen 72 Jahre alt, hat nicht nur die eingedämmte Ästhetik von Regisseuren wie Robert Bresson, Carl Theodor Dreyer und Yasujiro Ozu nachgeahmt, sondern er hat vor allem sich selbst zitiert. Sein neuer Film ist in vielerlei Hinsicht mit Martin Scorseses „Taxi Driver“ verwandt, für den Schrader das Drehbuch schrieb. Toller ist wie Travis Bickle ein einsamer Mann Gottes, der nicht weiß, wohin mit seiner Wut. Als Toller seinen Whiskey mit einem pinken Magensaft trinkt, um seine Bauchschmerzen zu behandeln, führt uns der Wirbel von Blasen zurück zu Robert De Niros Bickle, der in sein sprudelndes Glas Alkaseltzer starrt.
Schrader ist vor allem als „der Autor von Scorsese“ bekannt, aber „First Reformed“ ist ein eigenständiger, intelligenter und manchmal hässlicher Film. Dinge wie die Beständigkeit von Spiritualität, Radikalismus und menschliche Destruktivität haben den Künstler schon immer beschäftigt. Ethan Hawkes Figur ist streng, stoisch und letztendlich selbstzerstörerisch. Die ultimative Frage, die Schrader stellt, muss natürlich unbeantwortet bleiben: Kann uns Gott vergeben, was wir dieser Welt angetan haben?
(S E R V I C E - „First Reformed“ bei der Viennale am 26. Oktober um 15.30 Uhr und am 31. Oktober um 23 Uhr im Gartenbaukino. www.viennale.at/de/film/first-reformed)