TT-Interview

Nachlässe regeln: Unklare Verhältnisse

Rechtzeitig an eine geregelte Übergabe seines Nachlasses zu denken, fällt vielen schwer.
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Der letzte Wille bringt die Familie auseinander: Wie verhindert werden kann, dass das eigene Vermächtnis für Streit sorgt und letztlich niemand mehr etwas davon hat.

Innsbruck – Wer denkt schon gerne über seinen eigenen Tod nach oder darüber, durch einen Schicksalsschlag handlungsunfähig zu werden! Doch dieses Tabu führt häufig dazu, dass Nachlässe nicht so geregelt werden können, wie es sich manche „im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte“ gewünscht hätten – vor dem Unfall mit anschließendem Koma oder dem Ausbrechen einer schweren Erkrankung. Aktuellen Schätzungen zufolge leben in Österreich 115.000 bis 130.000 Menschen mit einer Form der Demenz, bis 2050 wird sich diese Anzahl verdoppeln. „Freilich ist es wesentlich, dass ich zu Lebzeiten oder solange ich noch voll handlungsfähig bin, auch über meinen Nachlass bestimmen kann. Wird das nicht geregelt, dann gelten die gesetzlichen Bestimmungen – und die müssen nicht unbedingt mit dem übereinstimmen, was der Betroffene sich vorstellt“, sagt der Innsbrucker Rechtsanwalt Christian J. Winder, Vizepräsident der Tiroler Rechtsanwaltskammer, im Interview.

Welche Probleme können entstehen, wenn nach dem Tod oder auch nach einem Schlaganfall oder wegen Demenz Erbverhältnisse ungeregelt sind?

Christian J. Winder: Schauen wir uns zuerst einmal den Fall an, dass die Person nicht mehr eigenständig handeln kann. Häufig ist es so, dass eine Reihe von laufenden Vertragsverhältnissen wie Miete, Strom und Handy, aber auch die Kontoverträge mit der Bank auf eine Person lauten und nicht auch auf den Ehepartner. In einem solchen Fall könnte etwa nicht auf das Konto zugegriffen werden oder der Strom umgemeldet werden. Das kommt recht häufig vor. Da geht es gar nicht um „große Dinge“, sondern um den Alltag.

Wie etwa, dass der Partner nicht über das Auto verfügen kann?

Winder: Genau, es ist ratsam, dass beide als Zulassungsbesitzer eingetragen sind.

Warum gibt es so häufig Probleme?

Winder: Leider werden Entscheidungen, ein Testament, eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung aufzusetzen, auf die „lange Bank“ geschoben, weil es ein Thema ist, mit dem man sich nicht gerne beschäftigt. Jedenfalls so lange nicht, wie es einem gut geht. Wir stellen fest, dass am ehesten dann konkret Schritte unternommen werden, wenn etwa eine schwere Operation bevorsteht.

Welche Folgen kann eine fehlende Vorsorge haben?

Winder: Wird etwa durch eine Vorsorgevollmacht dem Lebenspartner nicht die Möglichkeit gegeben, finanzielle Dinge zu regeln, dann besteht kein Zugriff beispielsweise auf das Pensionskonto – und damit auch keine Chance, Rechnungen zu bezahlen oder einen Dauerauftrag zu ändern, obwohl ja das Geld dafür vorhanden wäre.

Woran müssen Unternehmer denken?

Winder: Bei Unternehmern ist es ein Gebot, sicherzustellen, dass auch im Ernstfall das Geschäft weitergehen kann. Hier gilt es, für die Konten Verfügungsvollmachten auszustellen oder zu gewährleisten, dass der Zugang zu Online-Diensten wie Finanz-Online uneingeschränkt möglich bleibt. Generell ist es so, dass der Anwalt eine den Bedürfnissen des Klienten angepasste Vorsorgevollmacht ausarbeitet und dann in einem elektronischen Register, dem Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis, erfasst. Tritt der Fall ein, dass man nicht mehr selbstständig entscheiden kann, dann stellt dies der Arzt fest, was dann wiederum im Register eingetragen wird.

Kommt es häufig zu Streitigkeiten, eben weil der Verstorbene nicht vorausgeschaut hat oder es zum Beispiel wegen eines schweren Unfalls nicht mehr konnte? Wie lange können sich diese im schlimmsten Fall hinausziehen?

Winder: Leider sind Streitigkeiten häufig der Fall, wenn der Verstorbene nicht für die nötige Klarheit gesorgt hat – und wenn es vorher auch schon nicht eitel Wonne war. Da geht es dann nicht mehr bloß um die Gegenstände, die der eine oder die andere bekommen möchte, sondern sehr oft um das Aufbrechen von Kränkungen aus der Vergangenheit, um das Erledigen offener Rechnungen. Und das kann dann nicht selten einen jahrelangen Rechtsstreit nach sich ziehen.

Wie geht man im optimalen Fall vor?

Winder: Am besten ist es, in einem ersten Schritt mit dem Rechtsanwalt des Vertrauens über die Vorstellungen zu sprechen und sich ein Bild zu verschaffen. Auf dieser Grundlage sollte dann offen im Familienkreis besprochen werden, was man sich selbst vorstellt – und auch hingehört werden, was sich jeder Einzelne erwartet, benötigt oder auch nicht haben möchte. Auf dieser Grundlage kann der Rechtsanwalt dann eine Vorsorgevollmacht und ein Testament verfassen, das den Wünschen aller möglichst gerecht wird.

Gilt das Thema immer noch als zu großes Tabu?

Winder: Der Schritt, sich mit Angelegenheiten nach dem eigenen Ableben auseinanderzusetzen, verlangt von einem selbst einiges ab – deshalb wird er als Tabu angesehen. Helfen sollte die Vorstellung, dass mit dem Nicht-Entscheiden die Probleme und der Streit jenen hinterlassen wird, bei denen man eigentlich in guter Erinnerung bleiben will.

Das Interview führte Michaela S. Paulmichl