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Muster kritisch: „Das Tennis von heute ist wie ein Auto ohne Motor“

Der größte Spieler der Gegenwart, Dominic Thiem (l.) und der größte Spieler der Vergangenheit, Thomas Muster.
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Tennis-Legende Thomas Muster (51) spricht im Interview über fehlende Rivalitäten, die Gefahren der digitalen Welt und wie Geld dem Sport schadet

Von Roman Stelzl

Wien – Seine Auftritte in der Öffentlichkeit waren schon immer rar. In der Wiener Stadthalle machte Österreichs Tennis-Legende Thomas Muster als Botschafter der Erste Bank Open eine Ausnahme.

Herr Muster, vor 30 Jahren haben Sie das legendäre Wien-Finale gegen Horst Skoff verloren. Ihre Rivalität war berüchtigt. Gibt es solche Rivalitäten noch?

Thomas Muster: Nein, heute darfst du nicht mehr die Wahrheit sagen, sonst wirst du in der digitalen Welt zerlegt. Alles wird fotografiert, auf Instagram gestellt. Wir hatten es da besser, konnten uns alles sagen. Heute muss alles politisch korrekt sein, davon bin ich ein Gegner. Ich kann die digitale Welt nicht ausstehen. Jeder gibt seinen Senf zu Themen ab, von denen er keine Ahnung hat. Rivalitäten gibt es im Tennis nur noch nach innen. Aber diese Schmuserei am Netz, die langen Reden, wie gut der andere war? Blödsinn – wenn ich verliere, zipft’s mich an. Jemand, der im selben Teich fischt wie ich, ist mein Gegner. Ich würde es erfrischend finden, wenn einer mal wieder die Pappen aufreißt. Aber die Tragweite ist zu groß.

Aber diese Schmuserei am Netz, die langen Reden, wie gut der andere war? Blödsinn – wenn ich verliere, zipft’s mich an.
Thomas Muster, Tennis-Legende

Es wird überlegt, dass sich die Spieler selbst das Handtuch holen nach dem Ballwechsel. Was halten Sie davon?

Muster: Eine super Idee. Du willst ja nicht sehen, wie einer bei vier Stunden Spielzeit eine Stunde lang das Handtuch braucht. So viel Schwitzen kannst du gar nicht. Ich habe mich früher bei manchen Ballwechseln nicht mal hingesetzt, da hatten die Spieler noch Sägespäne oder ein Handtuch in der Hose.

Sie haben vorher soziale Medien angesprochen. Davon scheinen Sie kein großer Fan zu sein...

Muster: Ich bin so froh, dass keiner weiß, wo ich bin. Und mich interessiert’s auch nicht, wer wann duschen geht und wohin auf Urlaub fährt. Ich habe Sorge, dass die Menschheit den Hausverstand verliert. Wenn du Kindern das Smartphone wegnimmst, ist das so, wie wenn du ihnen das Leben wegnimmst. Das ist erschreckend.

Wie schwierig ist es da, Privatsphäre zu haben?

Muster: Du darfst nicht immer in die Öffentlichkeit gehen, dann wird auch nicht über dich geschrieben. Ich habe die Aufmerksamkeit nie gemocht, habe auch nie verstanden, wieso man mich zu einem solchen Idol gemacht hat. Ich habe eine gute Arbeit gemacht, aber es gab immer viel wichtigere Dinge als Tennis.

Der Trainer-Job hat Sie nie gereizt?

Muster: Ich betreue seit vier Jahren Anastasija Sevastova (LAT, 11 der Weltrangliste, Anm.). Das weiß kaum jemand. Die hatte schon aufgehört, hatte nichts mehr. Ich habe sie wieder zum Tennis gebracht, jetzt coache ich sie am Telefon. Das mache ich unentgeltlich, muss auch keiner wissen.

Die größte Stunde des Thomas Muster: 1995 gewann der Steirer bei den French Open seinen einzigen Grand-Slam-Titel.
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Jetzt kommt das Tiebreak in Wimbledon, die Shotclock, der Davis Cup ist gekürzt. Muss Tennis schneller sein?

Muster: Die Spieler sind selbst daran beteiligt. Wenn du die Sekunden hochrechnest, dann sind es im Spiel schon mal 1,5 Stunden, in denen nichts passiert. Man muss nicht 13-mal alles herrichten wie bei Rafael Nadal, das kann man ja nicht mit-anschauen. Das hat was Neurotisches.

Der Erfolg gibt ihm Recht ...

Muster: Man kann sich alles einreden. Das ist, wie wenn ich in der U-Bahn immer den gleichen Waggon und Sessel haben muss, sonst komme ich nicht in die Arbeit.

Dass Nadal so wie Roger Federer weiter dominant ist – ein Armutszeugnis für die Jungen?

Muster: Ja, ist es. Es sind sehr viele Spieler in den Top 15, die da nicht hingehören. Andy Murray war verletzt, ebenso Kei Nishikori. Die Dichte, die da war, hat sich aufgelöst. Es sind Spieler dort, die da nicht hingehören.

Über das skurrile Verhalten von Nick Kyrgios wurde viel gesprochen. Ist so ein Typ wünschenswert?

Muster: Wenn du dich so benimmst, musst du Leistung zeigen. Das ist das McEnroe-Prinzip, der war ein Typ. Wenn du keine Leistung bringst, machst du dich lächerlich.

Andy Murray, der seine Box am Platz wüst beschimpft haben soll, wird so etwas also verziehen?

Muster: Das ist auch nicht normal. Da musst du dich fragen, ob die Leute, die in der Box sitzen, ein Gewissen haben. Aber die Leute verdienen gut, keiner traut sich mehr Nein zu sagen, weil er dann weg ist.

Noch zu Ihnen persönlich: Was macht Thomas Muster derzeit?

Muster: Ich baue gerne, fahre Traktor, schneide Bäume, habe jetzt nichts anderes getan als einen Garten herzurichten.

Ist das Ihr Anti-Programm zur digitalen Beschleunigung?

Muster: Ja. Ich habe zuletzt zwei Monate ein Haus ausgeräumt, habe 17 Container mit Müll gefüllt, in der Ecke gekniet und alles ausgeräumt. Ich kaufe gerne solche Objekte, richte sie her, verkaufe sie wieder. Daneben baue ich ein eigenes Haus in Graz – in Neuseeland habe ich eine Baustelle, da fliege ich demnächst hin.

Zerstört das Geld das Tennis, hat der Sport dadurch seine Seele verloren?

Muster: Ja, da bin ich zu 100 Prozent der Meinung. Das Tennis hat die Seele verloren, das ist wie ein Auto ohne Motor. Das hat auch keine Seele.

Goran Ivanisevic trainierte in Wien den Kanadier Milos Raonic. Er war einer Ihrer größten Rivalen – haben Sie ihn hier getroffen?

Muster: Ja, ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht. Und er meinte nur: „Same shit, different station.“ Das ist sehr negativ. Da habe ich gefragt, was hat er falsch gemacht im Leben? Du musst das ja nicht machen. Ich mache das, was ich gerne mache. Und mir geht es damit jeden Tag gut.

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