56. Viennale: „Eine eiserne Kassette“ - Reise in NS-Familienhistorie

Wien (APA) - Einen tiefen Blick in ein dunkles Kapitel seiner Familiengeschichte legt Nils Olger mit „Eine eiserne Kassette“ vor. Der Inhalt...

Wien (APA) - Einen tiefen Blick in ein dunkles Kapitel seiner Familiengeschichte legt Nils Olger mit „Eine eiserne Kassette“ vor. Der Inhalt des titelgebenden Behälters motivierte den Filmemacher, die Rolle seines Großvaters im Zweiten Weltkrieg zu hinterfragen. Herausgekommen ist eine ebenso ruhige wie bemerkenswerte Auseinandersetzung, die Spuren hinterlässt und am Sonntag bei der Viennale läuft.

Besagte Kassette erhielt Olger nach dem Tod seines Großvaters. Darin befanden sich die Negative von insgesamt 377 Fotos, die dieser zwischen März 1944 bis April 1945 aufgenommen hat. Zu dieser Zeit war er Arzt bei der Aufklärungseinheit der berüchtigten 16. Panzerdivision „Reichsführer SS“. Anhand der Bilder lässt sich nachvollziehen, wo sich der einstige SS-Hauptscharführer in diesem Zeitraum aufgehalten hat. Olger geht in seinem etwas über 100 Minuten langen Film den damaligen Vorkommnissen mutig zwischen wissenschaftlicher Distanz und persönlicher Betroffenheit nach.

Der Lebensgeschichte seiner Großeltern wandte sich Olger bereits zu, als er die Fotos noch nicht kannte. Aus diesem Grund kommt sein Großvater auch vor der Kamera zu Wort, was den Film noch tiefere Einblicke in die Familienhistorie werfen lässt. Mit ruhiger Stimme führt Olger einerseits behutsam und doch schonungslos durch Entwicklungen in der NS-Zeit, die in den Familienanekdoten davor keine Beachtung fanden.

In Kleinarbeit geht der Regisseur an die Originalschauplätze, an denen die Fotos entstanden sind. Dabei folgt er den einstigen Wegen der Panzerdivision nach Ungarn oder ins heutige Rumänien, wo die Einheiten etwa an der Einrichtung eines Ghettos beteiligt waren, von dem aus Zehntausende Juden nach Auschwitz deportiert wurden. Gespräche mit mehr oder weniger geschichtskundigen Menschen vor Ort werden mit historischen Einordnungen und biografischen Informationen verwoben. Die nüchternen Bilder unterstützen die hintergründige Recherche.

Noch direkter werden die Schilderungen nachdem die unter dem Kommando des später verurteilten SS-Kriegsverbrechers Walter Reder stehende Division nach Italien verlegt wurde. Angesichts verlustreicher Kämpfe gegen die von Süden vorrückenden US-Befreiungstruppen, lenkte die Truppe ihre Mordlust auf die dortige Bevölkerung. Unter dem Vorwand, Partisanen zu bekämpfen, richtete sich der Terror vielfach gegen einfache Leute. Die zahlreichen Gräueltaten kosteten Tausende Zivilisten das Leben, darunter viele Frauen und Kinder.

Olger lässt zahlreiche Zeitzeigen zu Wort kommen, und ermöglicht dem Betrachter so ein tiefes Eintauchen in die traumatischen Ereignisse. Über all dem schwebt die Frage, was der Großvater, der Reder nachgewiesenermaßen relativ nahe stand, damit zu tun gehabt hat. Die Fotos geben darüber ebenso wenig direkten Aufschluss, wie die Aussagen des einstigen SS-Offiziers, der seinem Enkel gegenüber nicht viel preis gibt. Angesichts der durch die Bilder belegten Anwesenheit an einigen Schauplätzen von Kriegsverbrechen, wirken viele Aussagen wie ein Hohn.

Ebenso interessant sind die Schilderungen darüber, was man im Hinterland über die Abläufe an der Front und den Holocaust wusste, nicht wusste oder nicht wissen wollte. So thematisiert Olger auch anhand der Geschichte seiner Großeltern die großen Lücken in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nach dem Krieg. Beispielhaft dafür steht die skandalumwobene Rückkehr Reders aus italienischer Haft Anfang 1985, die auch innenpolitisch für große Auseinandersetzungen sorgte.

(S E R V I C E - „Die eiserne Kassette“ ist im Rahmen der Viennale am 4. November um 19 Uhr und am 7. November um 20.30 Uhr im Metro Kinokulturhaus zu sehen. www.viennale.at/de/film/eine-eiserne-kassette)