Stadtentwicklung

Innsbruck – die Stadt als Spiegel der Gesellschaft

Das "comma" in den Rathausgalerien in Innsbruck hat einen Insolvenzantrag gestellt. (Symbolfoto)
© Michael Kristen

Was passiert mit einer Stadt wie Innsbruck, die räumlich begrenzt ist und mit Zuzug fertigwerden muss? Wie lebt es sich in der Landeshauptstadt, und wie wird sie lebenswert erhalten? Gedanken dreier Experten.

Arno Ritter: „Freiflächen definieren und dann Bauten entwickeln“

aut-Chef Arno Ritter geht mit Innsbruck nicht so hart ins Gericht. Er findet im SoWi-Areal, das 1999 gegen viel Widerstand, gebaut wurde, ein positives Beispiel für Städteentwicklung. „Durch den Bau wurde der Stadtteil nachhaltig verändert. Ein vormals blinder Fleck wurde revitalisiert.“ Auch die Rathaus-Galerien, die Maria-Theresien-Straße und das Kaufhaus Tyrol sind für Ritter gelungen. „Das alles hat die Innenstadt belebt, anders als in den Bezirksstädten wie Wörgl, Schwaz oder Telfs, wo die Ortskerne entleert wurden.“

Während die Stadt sich heute bemühe, wie beim Campagne-Areal zuerst Freiflächen zu definieren und dann Bauten zu entwickeln, sei früher Stadtentwicklung rein über den Wohnbau definiert worden. „Das ist problematisch.“ Es brauche Lebensraum und soziale, gemeinschaftliche Flächen. Fast schon gebetsmühlenartig kommt an der Stelle von Architekten der Verweis auf den Wohnpark Alt-Erlaa in Wien. Architekt Harry Glück baute in den 1970er-Jahren eine der größten Wohnanlagen in Wien, sozusagen eine Stadt in der Stadt, mit vielen Freiflächen und Schwimmbädern auf den Dächer­n der Wohnanlage.

Die Neugestaltung des Kaufhaus Tyrol und der Maria-Theresien-Straße werden ebenfalls positiv bewertet.
© thomas boehm

Heute sei es für soziale Wohnbauträger sehr schwer, Gemeinschaftsflächen mitzuplanen. „Die hohen Grundstückspreise und die Auflagen wie die Barrierefreiheit sehen bestimmte Mindestgrößen für Badezimmer & Co. vor, das geht meist zu Lasten der gemeinsam nutzbaren Flächen.“ Ritter plädiert dafür, zu hinterfragen, „ob es denn tatsächlich nötig ist, 100 Prozent der Neubauten barrierefrei zu bauen“.

Seiner Meinung nach braucht es „Lebensraum-Modelle statt nur Wohnbau“. Er sorgt sich um die soziale Durchmischung der Stadt.

Peter Lorenz: „Einzelinteressen machen noch keine Stadt“

„Die Stadt ist das wichtigste Gesamtkunstwerk der Menschheit und das direkteste Abbild einer Gesellschaft“, meint der Innsbrucker Architekt Peter Lorenz. „Im Vergleich zu Italien, wo die Städtebaukunst verloren gegangen ist, hat Innsbruck meine Anerkennung, für das, was es geleistet hat und leistet.“

Umstritten ist der PEMA-2-Turm, wo die Stadtbibliothek und Wohnungen untergebracht sind.
© Thomas Boehm / TT

Allerdings würden die Einzelinteressen und nicht das Bewusstsein für die gesamte Stadt dominieren. „Ein Hochhaus mitten in der Stadt darf nicht singulär gedacht werden“, sagt Lorenz und meint damit die von Markus Schafferer gebauten PEMA-Türme, die er anderer­seits für architektonisch gelungen hält. Besonders im Fall von PEMA 2, wo auch eine sehr schöne Stadtbibliothek beheimatet sei, müsse man vor dem Wettbewerb die weitere Umgebung mitdenken.

In Tirol sei die Raumordnung seit Jahrzehnten ein Stiefkind. „Innsbruck beginnt erst langsam mit der Erarbeitung von städtebaulichen Entwürfen, von stadträumlichen Visionen als Grundlage für die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung.“ Die bisherige „anlassbezogene Planung“ erfolge grundstücksweise und widerspreche einer modernen nachhaltigen Stadtentwicklung. Für Visione­n sind Masterpläne die Voraussetzung.

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Innsbruck gehöre zu den attraktivsten Städten Europas in seiner Kategorie und habe deshalb einen entsprechenden Zuzug. Ebendieser stoße auf eine „räumlich sehr begrenzte Stadt“, die noch dazu leistbares Wohnen gewährleisten wolle. Die Grundstückspreise würden vor allem in den wachsenden Städten mit Zuzug steigen. Der Architekt sorgt sich um die Durchmischung der Stadt und die „vernachlässigten Vorstädte“. „Entweder es gibt sozialen Wohnbau oder sehr teure Wohnungen – das schreit nach neuen Lösungen.“

Den Einzug der Universität ins Zentrum und damit die Belebung eines vormals blinden Flecks habe der SoWi-Bau gebracht.
© thomas boehm

Wolfgang Andexlinger: „Dörfer rundherum werden ausgeblendet“

Im Büro von Innsbrucks Stadtplaner Wolfgang Andexlinger hängt ein Plan, der die engen Stadtgrenzen und ein Dilemma der Tiroler Raumordnung aufzeigt. „Die Dörfer rund um Innsbruck werden ausgeblendet“, meint Andexlinger. Sehr zu seinem und fast aller Experten Leidwesen. Die örtliche Raumordnung liegt in der Hand der Bürgermeister, was für ein seit Jahrzenten kritisiertes Kirchturmdenken und eine ebensolche Entwicklung der Gemeinden sorgt. „Der Planungsverband funktioniert gar nicht. Innsbruck wird stets als die Große gegen die Kleinen wahrgenommen“, sagt Andexlinger.

Er meint, die Stadt habe in den letzten Jahren eine positive Entwicklung genommen. Viele punktuelle Akzente, wie beispielsweise die Rathaus-Galerien, das Haus der Musik, das Kaufhaus Tyrol, und für ihn auch die Stadtbibliothek im PEMA 2, seien dafür wichtig gewesen. Auch der Grad der Urbanisierung gefällt dem Städte­planer. Die Uni sei nicht nur als Institution, sondern vor allem durch „die Sichtbarkeit der Studierenden im Stadtleben sichtbarer geworden“. Andexlinger sieht die Verdichtung in der Stadt „nicht so kritisch wie Teile der Bevölkerung“. „Wir leben in einem begrenzten Raum und wir müssen sorgfältig damit umgehen.“ Wichtig dabei sei aber immer der Blick auf Qualität.

Leistbares Wohnen ist das, was die Stadtplanung und die Stadtregierung umtreibt. In Innsbruck gebe es zwar 70 Hektar Baulandreserven, davon würden der Stadt aber wenig gehören. Das Stadtbild ändert sich, weil immer mehr Einfamilienhäuser Wohnanlagen weichen. „Die Stadt ändert die Bebauungspläne, aber nur, wenn die Qualität des Projekts hoch ist. Dafür braucht es aber auch starke Werkzeuge, wie zum Beispiel Architekturwettbewerbe.“ (aheu)

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