Genforschung

Offenbar erstmals genmanipulierte Babys in China geboren

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Offiziell um sie resistent gegen Aids zu machen, veränderten chinesische Wissenschaftler erstmal das Genom von Embryos. Somit könnten sich künftig generell gefährliche Krankheiten aus dem Erbgut der Menschheit tilgen lassen. Ein höchst umstrittener Schritt in der Genforschung.

Peking — Einem chinesischen Wissenschafter zufolge wurden weltweit erstmals Babys nach einer Genmanipulation geboren. „Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt", sagt der Forscher He Jiankui in einem am Sonntag auf YouTube verbreiteten Video.

Demnach hatte der an Embryonen vorgenommene Eingriff mit dem noch sehr jungen Verfahren Crispr/Cas9 das Ziel, die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu dem Eingriff gibt es nicht, lediglich einen Eintrag in einem chinesischen Register für klinische Tests. Eine Bestätigung von anderen Stellen gab es zunächst ebenfalls nicht.

Chinas will Führerschaft in Lebenswissenschaft demonstrieren

In Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern sind derartige Manipulationen an menschlichem Erbgut verboten, weil die Risiken bisher kaum abschätzbar sind und Veränderungen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. In China hat man offenbar weniger ethische Bedenken. „Die Forschung scheint von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zumindest nicht ungedeckt zu sein", sagte Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. „Es liegt nahe zu vermuten, dass es hierbei auch darum geht, die Führerschaft der Chinesen im Bereich Lebenswissenschaft zu demonstrieren."

Ehtikrat: Spät- und Nebenfolgen noch nicht absehbar

„Bei den Experimenten handelt es sich um unverantwortliche Menschenversuche", betonte er. „Ob es stimmt oder nicht, was der chinesische Forscher He behauptet: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind solche Versuche und auch Ankündigungen aufs Schärfste zu kritisieren." Laut nahezu einhelliger Einschätzung von Experten sei die Grundlagenforschung zu Crispr/Cas noch weit entfernt vom Einsatz beim Menschen. „Die Neben- und Spätfolgen sind noch unabsehbar und schwer zu kontrollieren." Die Zukunft der genveränderten Kinder sei vollkommen ungewiss.

Dem Eintrag in einem chinesischen Register zufolge brachte das chinesische Team ungewollt kinderlose Paare aus gesunder Mutter und HIV-infiziertem Vater dazu, bei den Versuchen mitzumachen. Mittels künstlicher Befruchtung wurden zahlreiche Embryos geschaffen, deren Erbgut mit der erst seit 2012 in Labors eingesetzten Genschere Crispr/Cas9 verändert wurde.

Die Forscher um He zielten dabei dem Eintrag zufolge auf das Gen für den sogenannten CCR5-Rezeptor ab, an den sich HI-Viren für eine Infektion der Zelle anheften. Menschen ohne funktionales CCR5-Protein stecken sich nicht mit dem Virus an - ein berühmtes Beispiel ist der „Berlin-Patient" Timothy Ray Brown.

"Es ging nicht um eine Therapie"

Die Kinder vor einer möglichen HIV-Infektion durch ihre Eltern zu schützen, war allerdings nicht die Motivation - dafür gibt es andere, einfache und risikoarme Wege. „Das Verfahren ist nicht vergleichbar mit einer Impfung, die einen hohen Schutz bieten soll", erklärte Dabrock. Bei einem der Zwillinge habe sich schon in der Petri-Schale gezeigt, dass die Manipulation nicht zum Tragen gekommen sei. Trotzdem seien beide Embryos eingepflanzt worden. „Auch das ist ein Beleg dafür, dass es ihm (He Jiankui) nicht um eine Therapie oder einen Heilversuch geht."

Ihm sei bewusst, dass seine Arbeit Diskussionen auslösen werde, erklärt He in seiner Videobotschaft. „Aber ich glaube, Familien brauchen diese Technik." Es gehe ihm nicht darum, Kinder zu erschaffen, deren IQ erhöht und deren Haar- und Augenfarbe ausgewählt werden kann, behauptete er. Genveränderungen sollten „ein Instrument der Heilung" bleiben: „Eltern wollen kein Designer-Baby, sondern nur eines, das nicht von Krankheit betroffen ist."

Klar ist jedenfalls: He hält mehrere Patente für Techniken zur Veränderung von Erbgut, handfeste finanzielle Interessen dürften daher zumindest Teil seiner Motivation sein. Studiert hat der Forscher an den Universitäten Rice und Stanford in den USA, bevor er in seine Heimat zurückkehrte und die Leitung eines Labors an der Southern University of Science in der südchinesischen Stadt Shenzhen übernahm. Laut chinesischen Staatsmedien besitzt er auch eine Firma für Gentestgeräte.

Die Shenzhener Universität, an der He forscht, wies am Montag jedes Wissen über seine Experimente zurück. „Wir sind zutiefst schockiert", hieß es in einer auf der Website der Hochschule veröffentlichten Mitteilung. Die Forschungsarbeiten wurden demnach außerhalb der Universität durchgeführt. Auch habe He die Hochschule nicht über seine Arbeit unterrichtet. He habe „ernsthaft gegen die akademische Ethik und akademische Normen" verstoßen. Ein Gremium sei damit beauftragt worden, eine eingehende Untersuchungen des Falls durchzuführen.

Faßmann unterstützt das "ethische Prinzip"

Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) beruft sich hinsichtlich der neuen Möglichkeiten des Genome Editing auf die im Gentechnikgesetz (GTG) festgelegten Grundsätze: Bei genetischen Analysen und Gentherapien an Menschen unterstütze er das "ethische Prinzip", wonach "auf die Wahrung der Menschenwürde bedacht zu nehmen ist" und der Verantwortung des Menschen für Tier, Pflanze und Ökosystem Rechnung zu tragen sei. Das erklärte Faßmann in einer aktuellen Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von Claudia Gamon (NEOS) über Genome Editing durch CRISPR/Cas9.

Entwicklerin der Genschere fordert klare Grenzen

Eine der Entwicklerinnen der Genschere Crispr/Cas9, die US-Forscherin Jennifer Doudna, hat die Erzeugung von genmanipulierten Baby in China kritisiert. „Wenn sich das bestätigt, stellt diese Arbeit einen Bruch mit dem zurückhaltenden und transparenten Vorgehen der globalen Wissenschaftsgemeinde bei der Anwendung von Crispr/Cas9 zum Editieren der menschlichen Keimbahn dar", sagte Doudna am Montag in Hongkong. Es sei dringend erforderlich, der Genmanipulation bei Embryos klare Grenzen zu setzen. Sie dürfe nur dort zum Einsatz kommen, wo eine deutliche medizinische Notwendigkeit bestehe und keine andere Behandlungsmethode existiere.

Die Nachricht von den genveränderten Babys kam einen Tag vor Beginn einer Konferenz zum Thema Human Genome Editing an der Universität Hongkong, bei der Pioniere des Genome Editing sprechen werden. Sowohl Doudna als auch He nehmen an der Veranstaltung teil. Klar wird dann vielleicht, ob es die genveränderten Babys Lulu und Nana tatsächlich gibt. Denn, so formulierte es der britische Genetiker und Autor Adam Rutherford am Montag auf Twitter: „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise, und bisher haben wir keinen einzigen Beweis." (APA/dpa)

Hintergrund: Die Gen-Schere Crispr/Cas9

So funktioniert die Genschere:

Die Gen-Schere Crispr/Cas9 geht auf einen Abwehrmechanismus von Bakterien zurück. In den 1980er-Jahren fanden Forscher die ungewöhnlichen, sich wiederholenden Sequenzen im Erbgut der Kleinstlebewesen. Später wurde entdeckt: Die Bakterien schützen sich vor eindringenden Viren, indem sie Schnipsel aus deren Erbgut in ihre eigene DNA einbauen. So können sie den Eindringling bei einer erneuten Attacke wiedererkennen und gezielt ansteuern. Das passiert, indem die eingebauten DNA-Sequenzen aktiviert und in sogenannte RNA-Erbgutmoleküle umgeschrieben werden.

Der zweite — schneidende — Teil der Gen-Schere ist das Enzym Cas9. Es zerschnipselt an der angesteuerten Stelle das Erbgut, ursprünglich das des Eindringlings.

Zwei Forscherinnen, die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die US-Biochemikerin Jennifer Doudna, begannen, die molekulare Such- und Schneide-Maschine gezielt für Arbeiten am Erbgut zu nutzen. Ihre Studie erschien 2012 im Magazin Science. Mit dem Mini-Werkzeug können Gene verändert, an- oder ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden. Emmanuelle Charpentier forscht heute als Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin.

Seit 2013 weiß man, dass Crispr/Cas9 auch beim Menschen funktioniert. Mittlerweile werden zudem andere Enzyme außer Cas9 als Schnittwerkzeug getestet. Außerdem zeigte sich, dass Crispr nicht nur DNA, sondern auch die etwas andere RNA schneiden kann. Somit kommt die Gen-Schere auch für den Kampf gegen gefährliche Viren wie HIV infrage.

Es gibt jedoch noch ungelöste Probleme — etwa bei der zuverlässigen Reparatur der zerschnittenen Sequenzen.

Crispr ist die Abkürzung für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats".