Bertolucci verstorben: Rotes Fahnenmeer für Hollywood
Mit Bernardo Bertolucci, Regisseur von Welterfolgen wie „Der letzte Tango von Paris“ oder „Der letzte Kaiser“, ist am Montag einer der ganz Großen des Weltkinos gestorben.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Wenn in einem Haushalt nur prominente Intellektuelle verkehren, kann sich ein Jugendlicher diesem Ambiente entweder aus Langeweile entziehen oder alles in sich aufsaugen. Und schon wird alles möglich. Bei den Bertoluccis, Vater Attila war ein angesehener Lyriker und Kritiker, gingen Alberto Moravia, Pier Paolo Pasolini oder Elsa Morante ein und aus. Bernardo Bertolucci, am 16. März 1941 in Parma geboren und mit der Familie 1952 nach Rom übersiedelt, hatte als 14-Jähriger seinen ersten Film („Die Seilbahn“) gedreht. Damit hatte er mehr Filmerfahrung als Pasolini, dem er als Regieassistent bei dessen erstem Film „Accatone“ zur Seite stand.
Im April 1962 drehte Bertolucci nach einer Vorlage von Pasolini seinen eigenen Spielfilm. Drei Monate später wurde „Die Gevatterin Tod“ beim Filmfestival von Venedig gefeiert, zuvor war schon sein Lyrikband „Auf der Suche nach dem Geheimnis“ erschienen. So viel Erfolg ist für einen jungen Mann selten ohne Schaden zu ertragen. Das italienische Kino hatte ein neues Wunderkind.
Der frühe Ruhm beflügelte Bertolucci zu einer Serie von Literaturverfilmungen, mit denen er der italienischen Geschichte und ihren Widersprüchen aus Widerstand und Verrat nachspürte und so die Politik ins Kino brachte. Mit „Vor der Revolution“ (nach Stendhal) „Partner“ (nach Dostojewskij), „Strategie der Spinne“ (nach Borges) und schließlich „Der große Irrtum“ (nach Moravia) entwickelte er eine komplexe Erzählweise und ab 1969 mit dem Kameramann Vittorio Storaro eine unerwechselbare Bildsprache, die in Hollywood Begehrlichkeiten erweckte.
Der weltweite Durchbruch gelang Bertolucci 1972 mit dem kalkulierten Skandal um den Film „Der letzte Tango von Paris“. Die Geschichte über einen alternden, von Marlon Brando gespielten Amerikaner, der sich in einer anonymen und zugleich gewalttätigen sexuellen Ausnahmesituation verliert, durfte in den US-Kinos nur als „Pornofilm“ gezeigt werden. In Italien, wo noch die faschistischen Gesetze galten, wurde jede Aufführung verboten. Aus heutiger Sicht ist der „Tango“-Skandal noch einmal anders zu sehen, denn die spekulativsten Szenen – wie die anale Vergewaltigung – wurden ohne Wissen und Einwilligung der Schauspielerin Maria Schneider gedreht.
Doch die Augen der Produzenten begannen zu leuchten und Bertolucci konnte für sein Großprojekt „1900“ Mittel und Freiheiten aushandeln, die nur mit jenem Vertrag vergleichbar sind, den etwa Orson Welles für „Citizen Kane“ ergattern konnte.
Bertolucci, Mitglied der kommunistischen Partei Italiens, musste mit seiner Kinooper über einen Großgrundbesitzersohn (Robert De Niro) und einen Landarbeiter (Gerard Depardieu), die sich schon einmal Bett und Geliebte teilen, die US-Spekulanten, die nur wehende rote Fahnen sahen, enttäuschen. Bertolucci wurde bestraft und in der Folge standen ihm nur noch kleinere Budgets zur Verfügung, die er allerdings für (lange unterschätzte) Meisterwerke wie „La Luna“ und „Die Tragödie eines lächerlichen Mannes“ nutzen konnte.
Den größten Hollywood-Triumph lieferte Bertolucci 1987 mit dem bildgewaltig, wieder von Storaro gefilmten Epos „Der letzte Kaiser“, das neun Oscars gewann. Trotz des Welterfolgs musste Bertolucci vor allem in den USA Demütigungen hinnehmen. Dort hatten inzwischen Leute wie Harvey Weinstein das Sagen. Andererseits war auch Bertolucci nie zimperlich.
Ein häufiges Motiv in seinen Filmen war die Zerstörung von Vaterfiguren. Als sich der von Jean-Louis Trintignant gespielte Mörder in „Der große Irrtum“ aufmacht, sein großes Vorbild zu töten, lässt er sich die Adresse des Opfers geben – es ist jene von Jean-Luc Godard. Doch 2003, in seinem wunderbar lakonischen Film „Die Träumer“ über die Revolte vom Mai 1968, nimmt er alles zurück und erweist Godard seine Ehrerbietung. Am 26. November 2018 ist Bertolucci, einer der Großen des Weltkinos, in Rom gestorben.